EIN COUP GEGEN SERBIEN? 127
Madame la Grandduchesse Marie Nikolajewna, comme malheureusement
je ne la reverrai plus.“ Der guten Frau Krupenski wurde von dem am-
tierenden Popen erlaubt, in einem vom Hals bis zu den Füßen reichenden
Wollkostüm zu erscheinen, aber das Untertauchen wurde ihr nicht ge-
schenkt. Als sie nach dem Ende des feierlichen Aktes den anwesenden
Damen der russischen Botschaft ihre Freude aussprach, nunmehr der
russischen Kirche anzugehören, sahen diese sie verwundert an. Sie waren
zufällig alle Baltinnen und Protestantinnen, die dem ganzen Vorgang ohne
innere Teilnahme beigewohnt hatten. Es war im April 1914, daß mich
Krupenski besuchte und mir sehr vertraulich einen Brief seines Chefs, des
Ministers Sasonow, vorlas, in dem es ungefähr hieß: Man höre in St. Peters-
burg, daß Österreich-Ungarn einen Coup gegen Serbien plane. Eine
ähnliche Absicht habe schon im Frühjahr 1913 bestanden, sei aber von
der Wiener Diplomatie infolge italienischen Einspruchs wieder aufgegeben
worden. Hoffentlich sei der Plan endgültig begraben. Ein österreichisches
Vorgehen gegen Serbien werde, wie die Situation in Europa zur Zeit liege,
für den Weltfrieden sehr bedenkliche Folgen haben. Rußland werde ein
Überrennen Serbiens durch Österreich nicht zulassen. Die heutige Lage
sei eine ganz andere als 1908/09 während der bosnischen Krisis. Damals
sei Rußland durch eine Reihe früherer Abmachungen mit der habs-
burgischen Monarchie über eine eventuelle Umwandlung der Okkupation
Bosniens und der Herzegowina in Annexion sowie durch die von Iswolski an
Aehrenthal in dieser Beziehung gerichteten Vorschläge und Anerbietungen
gebunden gewesen. Heute sei es durch keine Fessel verhindert, seine
schützende Hand über die stammes- und glaubensverwandten Serben zu
halten. Auch habe sich seit fünf Jahren die allgemeine Lage verändert und
nicht zugunsten der Zentralmächte. Endlich sei während der bosnischen
Krise die deutsche Politik vom Fürsten Bülow geleitet worden, der eine
größere Stellung in der Welt und insbesondere in St. Petersburg gehabt
habe als sein Nachfolger, auch mehr Routine und Doigte als Herr v. Beth-
mann. Herr Krupenski sei ermächtigt, wo er eine günstige Gelegenheit
finde, ernstlich vor einem unüberlegten und für den Weltfrieden gefähr-
lichen Vorgehen Österreichs gegen Serbien zu warnen. Krupenski erzählte
mir bei dieser Gelegenheit mit vielen Details, daß Österreich-Ungarn in
der Tat schon im Frühjahr 1913 gegen Serbien habe vorgehen wollen, aber
durch Italien daran verhindert worden sei, auf dessen Seite sich damals
erfreulicherweise Deutschland gestellt habe. Er bat mich, in Berlin zu
warnen, wo man doch, wie er annehme, auf mich höre und meine Rat-
schläge befolge.
Ich mußte Krupenski in letzterer Beziehung enttäuschen und ihm
sagen, daß man in Berlin weder meine Ratschläge wünsche noch meiner