Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

BETHMANN KALMIERT 139 
noch gewünscht hatte. Serbien war durch zwei Kriege erschöpft. Ein 
Waffengang mit der so viel stärkeren österreich-ungarischen Monarchie 
war auch für den hitzigsten Serben eine gewagte Sache, zumal mit den un- 
versöhnten Bulgaren und den zweifelhaften Rumänen im Rücken. Endlich 
genoß gerade der Erzherzog Franz Ferdinand als ausgesprochener Ungar- 
feind bei den Südslawen eher Sympathien. In diesem Sinne sprach sich 
nicht nur der damalige deutsche Gesandte in Belgrad, Herr von Grie- 
singer, aus, sondern auch in Belgrad anwesende Korrespondenten großer 
deutscher Blätter. In diesem Sinne hat meines Wissens sich später auch 
der k. k. Hofrat Wiesner ausgelassen, der von der österreichischen Regie- 
rung mit der Untersuchung aller Begleitumstände des Attentats und ins- 
besondere seiner Entstehung betraut worden war. 
Bevor ich Berlin verließ, um mit meiner Frau nach Norderney weiter- 
zufahren, begegnete ich in der Wilhelmstraße meinem Nachfolger, den ich 
bei dem Besuch, den ich ihm im Reichskanzlerpalais abstatten wollte, nicht 
zu Hause gefunden hatte. Fünf Jahre waren vergangen, seit ich ihm die 
Geschäfte übergeben hatte. Der Ausdruck seines Gesichts war weniger 
sorgenvoll, als ich es gerade bei ihm erwartet hätte. Er erinnerte mich daran, 
daß er mir vor zwei Jahren geschrieben habe, er betrachte es als seine vor- 
nehmste innerpolitische Aufgabe, zu „kalmieren“. Das gelte jetzt noch 
mehr für die auswärtige als für die innere Politik. Die in der ganzen Welt 
herrschende Nervosität sei unbestreitbar, aber nicht begründet. Das Ver- 
brechen von Sarajewo sei gewiß abscheulich, politisch würde es jedoch die 
gute Folge haben, den russischen leitenden Stellen und insbesondere dem 
Zaren die Serben gründlich zu verekeln. Ich erwiderte, daß mir dies nicht 
ganz sicher erschiene. Die Russen hätten in der Politik andere Moralbegriffe 
als wir. 
Während wir an dem Hausministerium vorbeikamen, in dessen schönen 
Räumen ich Mimi Schleinitz und deren Gatten, den Bismarck so verhaßten 
Hausminister Alexander Schleinitz, später meinen ausgezeichneten und 
hochverehrten Gönner und Freund, den Fürsten Otto Stolberg, gekannt 
hatte, wo jetzt der Präsident der Republik residiert, erzählte ich meinem 
Nachfolger eine Äußerung des Zaren Alexander I., wohl desjenigen russi- 
schen Selbstherrschers, der am meisten zu Sentimentalität und Idealismus 
neigte. Ein Botschafter in besonderer Mission, der Napoleon I. vor seinem 
Feldzug gegen Rußland bei Alexander I. vertreten hatte, war der 
General Savary, Herzog von Rovigo, gewesen. Durch seinen Takt, seine 
Liebenswürdigkeit und seine vortreffllichen Manieren hatte er es ver- 
standen, auch unter delikaten Verhältnissen sich das Vertrauen des Zaren 
zu erhalten. Als Savary abberufen wurde, schied der Zar mit einem 
Händedruck und einer Umarmung von ihın. Als nun Alexander I. mit seinen 
Besuch bei 
Beihmann
	        
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