Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Österreich- 
Ungarns 
Ultimatum 
140 DER LOKALISIERTE KRIEG 
hohen Verbündeten, dem Kaiser Franz von Österreich und dem König 
Friedrich Wilhelm III. von Preußen 1814 in Paris eingezogen war, ließ er 
den Herzog von Rovigo zu sich bitten, empfing ihn auf das liebenswürdigste 
und frug ihn, welchen Posten cr jetzt bekleide. Seufzend erwiderte der Duc 
de Rovigo, er habe keine Wiederanstellung gefunden, denn er stehe in Un- 
gnade bei Ludwig XVIII. „Das werde ich rasch in Ordnung bringen“, 
meinte der hochherzige Selbstherrscher aller Reußen, „lassen Sie mich nur 
machen!“ Der Kaiser ließ einen Vertrauten des Königs Ludwig XVIII. zu 
sich bitten und ersuchte ihn, seinem Souverän zu sagen, der Kaiser lege 
großen Wert darauf, daß der Herzog von Rovigo bald wieder einen seinen 
Talenten und seinem edlen Charakter entsprechenden Posten erhalte. Der 
Franzose zuckte die Achseln: „Impossible, Sire! Le Duc de Rovigo, alors 
General Savary, a presid& la Cour martiale qui a condamne a mort le Duc 
d’Enghien, cousin de Sa Majeste trös-chretienne.‘‘ Der russische Zar sah 
den Franzosen erstaunt an. „Comment! Iln’y a que cela! Et moi qui dine 
tous les jours avec Bennigsen et Ouchacow, qui ont ©trangl& mon pere.“ 
Der gute Bethmann, der sich innerlich wohl schon die These von dem zu 
lokalisierenden Zusammenstoß zwischen Österreich und Serbien zurecht- 
gelegt hatte, machte ein erschrockenes Gesicht, als ich ihm diese kleine 
Anekdote erzählte, die mir viele Jahre früher ein russischer Großfürst nach 
einem Souper lächelnd anvertraut hatte. „Gott sei Dank“, meinte er dann, 
„gehört eine so zynische Anschauungsweise der Vergangenheit an. Ich 
zweifle nicht daran, daß der Kaiser von Rußland und seine Ratgeber nicht 
nur das Verbrechen von Sarajewo beklagen und mißbilligen werden, son- 
dern daß diese Untat zwischen Rußland und den Serben einen tiefen mora- 
lischen Graben ziehen wird. Wir bleiben natürlich ruhige Beobachter. Was 
die Welt jetzt braucht, ist Ruhe.“ 
Einige Tage später trafen wir in Norderney ein, wo außer meinen früheren 
Pferden ein neuer Gaul, der prächtige braune Wallach Torero, auf mich 
wartete, mit dem ich die gewohnten Ritte zum Leuchtturm und um die 
Insel gern wieder aufnahm. Meine Gemütsruhe wurde gestört, als ich in den 
Zeitungen das österreichische Ultimatum an Serbien las, von dem mir 
in Berlin kein Mensch auch nur andeutungsweise gesprochen hatte. Über 
dessen ungeheure Tragweite machte ich mir natürlich vom ersten Augen- 
blick an keine Illusionen. Die Zeitungen, die ich las, behaupteten, soweit sie 
vom Auswärtigen Amt inspiriert waren, daß Österreich dieses Ultimatum 
proprio motu an Serbien gerichtet habe, daß wir den Inhalt des Ultimatums 
nicht gekannt hätten, Österreich aber in seinem Recht wäre und daß der 
ganze Streit, auch ein eventueller österreichischer Krieg mit Serbien, „loka- 
lisiert““ werden würde. Die letztere Hoffnung erschien mir mehr als kühn. 
Ich hoffte aber, daß wir uns wenigstens die Prüfung der serbischen Antwort
	        
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