Beihmanns
Biograph
150 PASTOR KÖTSCHKE
denken, wie sehr er bei dem Zusammenbruch alles dessen leide, was er in
der kurzen Zeit seiner Londoner Wirksamkeit bereits erreicht hätte. Er
hoffe aber doch, nicht vergeblich gearbeitet zu haben, und meine, daß es
ihm bald möglich sein werde, dort wieder anzuknüpfen, wo er stehen-
geblieben sei. Die Stimmung dafür sei in England nicht ungünstig, ihm
persönlich gegenüber sogar günstig, denn er habe sich in England eine
schöne Stellung gemacht und erfreuc sich dort allgemeiner Beliebtheit.
Unsere jammervolle diplomatische Führung in den kritischen Tagen von
1914 und insbesondere der damalige Geisteszustand des leitenden Staats-
mannes treten vielleicht am deutlichsten in einem wenig bekannten Werk
über Bethmann Hollweg hervor. Das „Unser Reichskanzler, sein Leben und
Wirken“ betitelte Buch ist verfaßt von einem Pastor Kötschke. Es ist
zweifellos auf Grund von Material geschrieben, das dem Autor von der
Familie Bethmann zur Verfügung gestellt wurde. Darauf deuten die ge-
nauen Angaben über die Jugend, die Gymnasial- und Studentenzeit, die
Familien- und selbst die Vermögensverhältnisse des fünften Kanzlers hin.
Da heißt es über jene Tage, in denen die Würfel über Reich und Volk fielen:
„Der Kanzler war in großer Erregung. Er hatte immer gedacht, auch seit
Jahren darauf hingearbeitet, daß England neutral bleiben sollte, wenn’s
doch einmal einen Krieg gäbe. Die mühevolle, kunstreiche Arbeit brach
jetzt wie ein Kartenhaus zusammen, wie er zu Herrn Goschen äußerte. Das
war eine gräßliche Stunde, als der englische Botschafter zu unserem Kanzler
kam. Das hätte nicht kommen dürfen! Diese Nacht war unheimlich. Wie
hätte man aber die Politik anders machen sollen, meinte der Kanzler. Ich
wüßte nicht, wie ich die Staatskutsche sonst hätte lenken sollen.‘ Das
Buch des guten Pastor Kötschke, 1916 geschrieben, schließt mit der Pro-
phezeiung, daß, wie der erste Kanzler in Friedrichsruh so manche Pilger-
schar treuer Verehrer empfangen hätte, auch der fünfte Kanzler, der das
deutsche Volk so glücklich durch den Weltkrieg hindurchsteuere, vom
Volke gefeiert werden würde. Dann werde es in Hohenfinow heißen:
„Macht die Tore weit! Sie kommen, dem Vielbekämpften die Hand zu
drücken.‘ Quo promessa cadunt et somnia pythagoraea!