Die Kriegs-
vorbereitung
in Paris
156 „DIE ZEIT DRÄNGTI“
Verkehrssperre einer eventuellen Mobilmachung keinen Mangel zu leiden
brauche. Der Militärgouverneur von Paris, General Michel, erklärte bei
diesen Beratungen: „Die Zeit drängt, dieses Jahr ist ein besonderes Jahr.
Wir wissen nicht, was es uns bringen kann. Wir wissen nicht, ob wir nicht
im März oder April Mobilmachung haben werden.“
Während Bethmann und Jagow, alles andere cher als kühne Männer, im
Grunde beide ängstliche Naturen, ihre unvorsichtige Politik mit der Harm-
losigkeit von Kindern betrieben, die im Walde Pilze suchen, machten sich
die Franzosen keine Illusionen über den Ernst der europäischen Gesamt-
lage. Am 20. Februar 1914 sagte, wie aus den nach dem Kriege erfolgten
amtlichen Veröffentlichungen hervorgeht, der französische Botschafter in
Berlin, Jules Cambon, zu dem belgischen Gesandten Beyens: Die Melhr-
zahl der Deutschen wie der Franzosen wünsche in Frieden zu leben, aber
in beiden Ländern träume eine mächtige Minorität nur von Schlachten und
Eroberungen oder Revanchekämpfen. „Darin liegt die Gefahr, neben der
man wie neben einem Pulverfaß leben muß, dessen Explosion durch eine
Unvorsichtigkeit hervorgerufen werden könnte.“ Am 10. März berichtete
der belgische Gesandte in Paris, Herr Guillaume, seiner Regierung, es wäre
für niemand ein Geheimnis, daß der Sturz des chauvinistischen Kabinetts
Barthou dem Präsidenten Poincar& peinlich gewesen sei. Der Präsident
sche in dem Sturz von Barthou einen Mißerfolg seiner eigenen, militaristi-
schen und nationalistischen Politik, die er systematisch verfolge seit dem
Tage, wo er als Ministerpräsident an die Spitze der Regierung getreten sei.
Hand in Hand mit Delcasse, Millerand und einigen anderen, predige Poin-
care unablässig die militärische und politische Wiederaufrichtung Frank-
reichs und bemühe sich gleichzeitig, die russische Regierung mißtrauisch
gegen Deutschland zu machen und sie für den Gedanken eines gemein-
samen Krieges gegen Deutschland allmählich zu gewinnen.
Bei gespannter internationaler Lage konnten wir natürlich gar nicht
vorsichtig genug sein, mußte die Berliner Politik mit Umsicht und Be-
sonnenheit geleitet werden. An der Aufrechterhaltung des Friedens hatte
kein Land ein größeres Interesse als Deutschland. Baron Beyens, der wie
die Mehrheit seiner Landsleute damals den Krieg, und nun gar einen Welt-
krieg, sicherlich nicht wünschte, sondern fürchtete, übersandte am 12. Juni
1914 anläßlich des Sturzes des Ministeriums Barthou und der Einführung
der dreijährigen Dienstzeit in Frankreich seiner Regierung einen längeren
Bericht. Nach einigen tadelnden Bemerkungen über die „schlecht unter-
richteten‘ Herren Poincare und Barthou, die in übereilter Weise die drei-
jährige Dienstzeit in Frankreich durchgesetzt und damit die in der Welt
herrschende Unruhe noch verstärkt, den überall aufgehäuften Zündstoff
noch vermehrt hätten, hieß es in diesem Bericht: „Die Mehrheit des fran-