Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DER VORBEUGENDE KRIEG 161 
kaiserlichen Botschafter in Wien, den Prinzen Heinrich VII. Reuß, richtete 
und in dem es heißt: „Der Herr Reichskanzler hat Ew. Durchlaucht ge- 
fälligen Bericht Nr. 99 vom 4. ds. Mts. mit Interesse gelesen und cs als 
vollkommen korrekt bezeichnet, daß Ew. Durchlaucht Ihrem russischen 
Kollegen erklärt haben, wir würden einen Krieg niemals aus dem 
Grunde führen, weil es früher oder später wahrscheinlich doch zu einem 
solchen kommen würde. Niemand kann der göttlichen Vorsehung so weit 
vorgreifen, um dies mit unbedingter Sicherheit zu behaupten. Es können 
sich iım Laufe der Zeit allerhand unberechenbare Vorfälle ereignen, die den 
Ausbruch eines Krieges verhindern.‘ Im gleichen Sinne hat Fürst Bismarck 
in einem oft zitierten Immediatbericht gegenüber seinem alten Herrn den 
Präventivkrieg überhaupt kategorisch und grundsätzlich abgelehnt. „Ich 
würde“, führte Fürst Bismarck aus, „noch heute wie 1867 in der Luxem- 
burger Frage Ew. Majestät niemals zureden, einen Krieg um deswillen 
sofort zu führen, weil es wahrscheinlich ist, daß der Gegner ihn später, 
besser gerüstet, beginnen werde. Man kann die Wege der göttlichen Vor- 
sehung dazu niemals sicher genug im voraus erkennen.“ Ich würde an die 
Schärfe erinnert haben, mit der, wie ich bei meiner Besprechung des 
Herbstmanövers in der Rheinprovinz, 1905, ausführlich erzählte, Fürst 
Bismarck meinen alten Regimentskameraden und Freund, den damaligen 
Militärattache in Wien, Major von Deines, zur Ordnung rief, als dieser bei 
ihm in den Verdacht geraten war, die Österreicher zum Vorgehen gegen 
Rußland zu ermuntern. Als bei Fürst Bismarck der gleiche Argwohn gegen 
den Chef des Generalstabs, den Grafen Alfred Waldersee, aufstieg, schrieb 
der große Kanzler an den Chef des Militärkabinetts, den General von 
Albedyli: die deutsche Politik habe die Aufgabe, den Krieg wenn möglich 
ganz zu verhindern, gehe das nicht an, ihn doch zu verschieben. An einer 
anderen Politik würde er, Fürst Bismarck, nicht mitwirken können. Ich 
würde vor allem immer wieder daran erinnert haben, daß Fürst Bismarck 
wiederholt einen kriegerischen Konflikt zwischen Österreich und Rußland 
als die unter mancherlei Möglichkeiten für uns allerunerwünschteste 
Möglichkeit bezeichnet hatte. Ich nehme an, daß Bethmann und seine 
Mitarbeiter mir erwidert haben würden, der Gedanke eines prophylaktischen 
Krieges läge ihnen fern. Sie glaubten aber, daß ein Krieg zwischen 
Österreich-Ungarn und Serbien sich „lokalisieren‘‘ lassen würde. Darauf 
hätte ich natürlich entgegnen müssen, daß eine solche Annahme eine sehr 
gefäbrliche Illusion wäre, die nur aus Unkenntnis der russischen, der 
französischen, der englischen, der ganzen Weltverhältnisse hervorgehen 
könne. Rußland werde und könne Österreich nicht erlauben, eine Straf- 
expedition gegen die Serben in Szene zu setzen. Wenn diplomatisch nicht 
sehr vorsichtig operiert würde, könnte der so geschaffene Antagonismus 
11 Bulow IH 
Bismarck über 
den Prüventir- 
krieg
	        
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