Die Kriegs-
erklärung an
Rußland
166 DAS ODIUM DES ANGRIFTS
von 1914 vergessen, die Begeisterung, den heroischen Trotz, wie sie dem
Feind und dem Schicksal die Brust bot. Von allen Seiten strömten jubelnd
und singend Freiwillige zu den Fahnen. Noch in meiner Sterbestunde
werden mir die Verse im Ohre klingen, die damals das Ver sacrum, der
heilige Frühling des deutschen Volkes, beim Ausrücken einer Welt von
Feinden entgegensang:
Gloria Victoria!
Ja, mit Herz und Hand
Fürs Vaterland!
Die Vöglein im Walde,
Die sangen so wunder-, wunderschön:
In der Heimat, in der Heimat,
Da gibt’s ein Wiedersehn.
Es gibt im Thucydides, der wie kaum ein anderer Historiker die Gabe
hat, ewige Bilder in das Gedächtnis der Menschheit einzugraben, eine
wundervolle Schilderung der Abfahrt der Expedition, welche die Athener
gegen Syrakus ausgerüstet hatten. Männer und Frauen sitzen auf den
Stufen des Parthenon, an den Abhängen des Hymettos und des Pentelikon
und sehen der abfahrenden Flotte nach mit Stolz, mit Wehmut, mit freu-
diger Hoffnung auf den Sieg. So blickte ganz Deutschland auf das Heer
von 1914, von dem unser erbittertster Gegner, der französische Marschall
Foch, gesagt hat, es sei die beste Armee gewesen, die jemals die Welt
gesehen habe, das Heer, das in vier Kriegsjahren an Tapferkeit und
Zähigkeit im Schlagen und Ertragen Unvergleichliches und Unvergängliches
leisten sollte. Wer jene Augusttage von 1914 erlebte, mußte sich in Ehr-
furcht beugen vor der Größe des deutschen Volkes, vor seiner stürmischen
Tapferkeit, seiner männlichen Tüchtigkeit, seiner seelischen Reinheit,
seinem Idealismus, vor der Armee, dem Volk in Waffen, die diese Tugenden
widerspiegelte. Und doch mußte ein einigermaßen erfahrener Beobachter
sich sorgenvoll fragen, ob selbst ein Heer wie das deutsche imstande sein
würde, die Wirkungen der von dem leitenden deutschen Staatsmann
begangenen politischen Fehler zu paralysieren.
Fürst Bismarck hatte es verstanden, sowohl 1870 wie selbst 1866, dem
Gegner die formale Kriegserklärung zuzuschieben. Da nun einmal der
Schein die Welt regiert und da, wie schon die Griechen sagten, der Schein
oft wichtiger ist als die Wirklichkeit, brachte Bismarck auf diese Art die
unendlich wichtigen Imponderabilien in sein Spiel. Bethmann Hollweg war
plump und ungeschickt genug, das Odium des Angriffs auf uns zu laden.
Wenn es bis zu einem gewissen Grade verständlich ist, daß wir, nachdem
wir uns mit Rußland im Krieg befanden, den Stoß gegen Frankreich so