ITALIEN BLEIBT NEUTRAL 169
Absichten. Es lag auf der Hand, daß die Zentralmächte, wenn sie im Falle
einer großen Konflagration, zu der das Ultimatum an Serbien nur zu leicht
führen konnte, Italien auf ihrer Seite haben wollten, sich die Kooperation
der Apenninischen Halbinsel rechtzeitig sichern mußten. Das ging natürlich
nicht ohne Konzessionen von österreichischer Seite. Sie waren nach Lage
der Dinge unerläßlich, wenn man Italien nicht in das gegnerische Lager
treiben wollte. Da solche Zugeständnisse nicht erfolgten, stand Italien im
entscheidenden Augenblick vor dieser Situation: Der Dreibundvertrag war
durch die von Österreich ohne vorherige Verständigung mit Italien ein-
geleitete Aktion nicht nur dem Geiste nach, sondern auch nach seinem
Buchstaben verletzt worden. Überdies hatten wir die italienische Re-
gierung bis zum letzten Augenblick in völligem Dunkel gehalten. Endlich
erklärten wir von uns aus den Krieg an Rußland und Frankreich und
boten dadurch den Italienern die bequeme Handhabe, sich ex nexu
foederis zu setzen. Fürst Bismarck hatte alle unsere Bündnisverträge auf
die Verteidigung gestellt. Er hielt es für undenkbar, daß ein Kanzler des
saturierten Deutschen Reichs, dessen größtes Interesse der Friede war,
dumm genug sein könnte, von uns aus den Krieg, sei es an Frankreich, sei
es an Rußland, zu erklären.
Am 31. Juli entschied sich der italienische Ministerrat für Neutralität.
Der einflußreichste und dabei zuverlässigste Freund, den wir in Italien
hatten, der damals nicht im Amte befindliche Giovanni Giolitti, erklärte
nach Prüfung der Lage dem Ministerpräsidenten Salandra wie dem
Minister des Äußern, dem ihm persönlich nahestehenden und politisch
befreundeten San Giuliano spontan, er betrachte nach der von Österreich
ausgehenden und von Deutschland leider geduldeten kopflosen Aktion
gegen Serbien Neutralität als die einzige für Italien mögliche Haltung.
Daß daran Briefe und Telegramme des Kaisers an den von ihm persönlich
mehr als einmal brüskierten König Viktor Emanuel nichts ändern würden,
war vorauszusehen. Die Neutralitätserklärung Italiens bot Frankreich den
ungeheuren Vorteil, alle seine an deritalienischen Grenze stehenden Truppen
von den Südalpen wegnehmen und sie gegen Deutschland werfen zu können.
Das bereitete die Situation für die Marneschlacht. Und diese Schlacht
war, wie die rückschauende Betrachtung der militärischen Kritiker des
Weltkrieges übereinstimmend festgestellt hat, für das Schicksal des Welt-
krieges entscheidend. So furchtbar rächen sich politische Fehler. Und so
zweifellos ist es, daß Kriege letzten Endes nicht militärisch, sondern poli-
tisch gewonnen oder verloren werden. Nicht die Führer unserer Heere, son-
dern in erster Linie Bethmann und Jagow haben den Weltkrieg verloren.
Gegenüber Rumänien ging es ähnlich. Hier wurde König Carol,
der während seiner ganzen Regierung es als seine vornehmste Aufgabe Rumänien