Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Die 
Marneschlacht 
174 „BETET FÜR UNS!“ 
Mülhausen, Saarburg, Neufchäteau, an der Maas und bei Montes, bei Charleroi, 
Maubeuge, Saint-Quentin. Wir hörten, daß die Ulanen schon die Türme von 
Paris, daß sie schon den Eifelturm vor sich sähen. Aber bald nachher hatte 
Wedel einen jüngeren Offizier gesprochen, der, als der Vormarsch in 
Unordnung geraten war, in den ersten Tagen des September dienstlich bei 
Moltke gewesen war. Er war entsetzt über das Ausschen des Chefs des 
Generalstabes, der, als er bei ihm eintrat, gebrochen an seinem Tisch saß, 
das Gesicht in beide Hände vergraben. Als er aufblickte, sah der Besucher 
in ein bleiches, von Tränen überströmtes Antlitz. Ein oder zwei Tage später 
hörte Wedel aus der Umgebung der Kaiserin, sie hätte von ihrem hohen 
Gemahl ein Telegramm erhalten: „Betet für uns!“ 
Es wäre eine Anmaßung von meiner Seite, wenn ich mir in strategischen 
Fragen ein Urteil erlauben wollte, weil ich einst als Husarenleutnant vor 
dem Zuge geritten bin. Bei unbegrenzter Liebe und Treue für die Armee, 
deren Uniform ich ein halbes Jahrhundert trug, bin ich mir meiner Un- 
zuständigkeit in dieser Richtung durchaus bewußt. Ich meine aber, daß 
auch der Laie das Recht hat, nachstehendes zu sagen: Große Konzeptionen, 
politische wie strategische, lassen sich nicht im voraus auf dem Papier 
festlegen, um dann Jahre nachher in die Tat umgesetzt zu werden. Solche 
Konzeptionen sind keine Heringsware, die man einpökeln kann auf einige 
Jahre. Das hat niemand häufiger und schärfer betont als Bismarck. 
Napoleon I. hat nicht selten vorher getroffene Dispositionen geändert, wenn 
. er, auf dem Schlachtfeld eingetroffen, während das Gefecht schon im Gange 
war, sich vor eine neue Situation gestellt sah. Kriegs-Führung und Politik 
wären einfacher und leichter, als sie in Wirklichkeit sind, wenn der zum 
Handeln berufene Staatsmann oder Feldherr nur eine Schublade aufzu- 
ziehen brauchte, um dort ein für jeden Fall passendes und Erfolg ver- 
sprechendes Rezept zu finden. Der Plan, den der geniale Graf Alfred 
Schlieffen eine Reihe von Jahren vor Ausbruch des Weltkrieges ersonnen 
hatte, konnte Anregungen und Fingerzeige, er konnte sogar die großen 
Richtlinien der Kriegs-Führung geben. Er durfte nicht als ein Ukas auf- 
gefaßt und behandelt werden, der nun blind und mechanisch ausgeführt 
wurde. Auch hier gilt das Wort des Apostels, daß der Buchstabe tötet und 
daß nur der Geist lebendig macht und lebendig erhält. Dem Geist des 
Schlieffenschen Planes aber wurde Moltke II untreu in wesentlichen und 
lebenswichtigen Punkten, wie dies die militärische Kritik seitdem nach- 
gewiesen hat und wie das auch der Laie begreift. 
Es zeigte sich, wie berechtigt die Zweifel und Besorgnisse gewesen waren, 
die der arme Moltke im September 1905 mir gegenüber zum Ausdruck 
gebracht hatte, als wir um den Wasserturm am Hippodrom ritten, als er 
mir auseinandersetzte, wie schwere Bedenken er gegen die Übernahme der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.