Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

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kranke Pierd.“ Aufdem Gerippe waren bildlich alle Krankheiten angegeben, 
von denen ein armes Roß befallen werden kann, vom Rotz bis zur Strahl- 
fäule. In der Hochschule für Politik, die für die Ausbildung unserer 
künftigen diplomatischen Beamten vor einiger Zeit ins Leben gerufen wurde, 
sollte ein Spezialkursus eingerichtet werden, der an den von der deutschen 
Politik im Hochsommer 1914 begangenen Fehlern den Schülern zeigt, wie 
Diplomaten es nicht machen dürfen, der die Stümperei von Bethmann 
Hollweg und Jagow dem diplomatischen Nachwuchs als abschreckendes 
Beispiel vor Augen führt: Hier seht, wie ihr es nicht machen sollt, wie ihr 
es nicht machen dürft! Bethmann und Jagow täuschten sich im Sommer 
1914 in allem und jedem. Sie täuschten sich in der von ihnen voraus- 
gesetzten Zugkraft der Mordtat von Sarajewo, die, wie sie fälschlich an- 
nahmen, alle Mächte an die Seite Österreichs führen würde. Gegenüber der 
russischen Mentalität war, wie ich dies Bethmann vorausgesagt hatte, diese 
Zugkraft von vornherein sehr gering. Und auch im Westen versagte sie, 
als dort die Übertreibungen, die Schroffheit und Plumpheit der öster- 
reichischen Forderungen und Pläne zutage traten. Die Leiter unserer 
auswärtigen Politik täuschten sich in Italien und in Rumänien, die sie zu 
übertölpeln und zu überrennen dachten, die sich aber mit Rußland und 
Frankreich hinter sich und gestützt auf den Wortlaut der Dreibunds- 
verträge weder überlisten noch einschüchtern ließen. Bethmann und Jagow 
täuschten sich vor allem in England. Bethmann hat jedermann, dem 
Kaiser Wilhelm II. wie dem Bundesrat, dem österreichisch-ungarischen 
Botschafter wie den deutschen Vertretern im Auslande versichert, wir 
könnten mit Sicherheit darauf rechnen, daß England wenigstens im ersten 
Stadium des Krieges neutral bleiben würde. Wahn, überall Wahn. Wie 
ich schon hervorhob, bestand der wohl allergröbste Fehler der vier oder 
fünf Personen, die uns ins Verderben führten, darin, daß sie Beschlüsse 
von solcher Tragweite in der Dunkelkammer des Auswärtigen Amts 
faßten, ohne irgend jemand um Rat zu fragen, weder erfahrene Diplomaten 
noch kluge Männer des wirtschaftlichen Lebens, wie Albert Ballin, Arthur 
Gwinner, Emil Rathenau, Max Warburg, Karl Fürstenberg, Paul von 
Schwabach. Seufzend sagte mir Albert Ballin im zweiten Jahr des Welt- 
krieges: „Wenn ich im Sommer 1914 etwas gewußt hätte von dem, was 
Bethmann Hollweg und Jagow vorhatten, wenn ich eine Ahnung gehabt 
hätte von dem geplanten Ultimatum und der in Aussicht genommenen 
Strafexpedition gegen Serbien, so würde ich auf alle Fälle Deutschland 
wenigstens rechtzeitig mit Getreide vollgepumpt haben.‘‘ Das Ungeschick, 
Die Weltkriss mit dem unser Comit& — nicht de Salut public, sondern de Catastrophe 
durch das publique — die durch das Ultimatum hervorgerufene Weltkrisis weiter 
Ultimatum behandelte, spottete jeder Beschreibung. Die englischen Ver-
	        
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