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kranke Pierd.“ Aufdem Gerippe waren bildlich alle Krankheiten angegeben,
von denen ein armes Roß befallen werden kann, vom Rotz bis zur Strahl-
fäule. In der Hochschule für Politik, die für die Ausbildung unserer
künftigen diplomatischen Beamten vor einiger Zeit ins Leben gerufen wurde,
sollte ein Spezialkursus eingerichtet werden, der an den von der deutschen
Politik im Hochsommer 1914 begangenen Fehlern den Schülern zeigt, wie
Diplomaten es nicht machen dürfen, der die Stümperei von Bethmann
Hollweg und Jagow dem diplomatischen Nachwuchs als abschreckendes
Beispiel vor Augen führt: Hier seht, wie ihr es nicht machen sollt, wie ihr
es nicht machen dürft! Bethmann und Jagow täuschten sich im Sommer
1914 in allem und jedem. Sie täuschten sich in der von ihnen voraus-
gesetzten Zugkraft der Mordtat von Sarajewo, die, wie sie fälschlich an-
nahmen, alle Mächte an die Seite Österreichs führen würde. Gegenüber der
russischen Mentalität war, wie ich dies Bethmann vorausgesagt hatte, diese
Zugkraft von vornherein sehr gering. Und auch im Westen versagte sie,
als dort die Übertreibungen, die Schroffheit und Plumpheit der öster-
reichischen Forderungen und Pläne zutage traten. Die Leiter unserer
auswärtigen Politik täuschten sich in Italien und in Rumänien, die sie zu
übertölpeln und zu überrennen dachten, die sich aber mit Rußland und
Frankreich hinter sich und gestützt auf den Wortlaut der Dreibunds-
verträge weder überlisten noch einschüchtern ließen. Bethmann und Jagow
täuschten sich vor allem in England. Bethmann hat jedermann, dem
Kaiser Wilhelm II. wie dem Bundesrat, dem österreichisch-ungarischen
Botschafter wie den deutschen Vertretern im Auslande versichert, wir
könnten mit Sicherheit darauf rechnen, daß England wenigstens im ersten
Stadium des Krieges neutral bleiben würde. Wahn, überall Wahn. Wie
ich schon hervorhob, bestand der wohl allergröbste Fehler der vier oder
fünf Personen, die uns ins Verderben führten, darin, daß sie Beschlüsse
von solcher Tragweite in der Dunkelkammer des Auswärtigen Amts
faßten, ohne irgend jemand um Rat zu fragen, weder erfahrene Diplomaten
noch kluge Männer des wirtschaftlichen Lebens, wie Albert Ballin, Arthur
Gwinner, Emil Rathenau, Max Warburg, Karl Fürstenberg, Paul von
Schwabach. Seufzend sagte mir Albert Ballin im zweiten Jahr des Welt-
krieges: „Wenn ich im Sommer 1914 etwas gewußt hätte von dem, was
Bethmann Hollweg und Jagow vorhatten, wenn ich eine Ahnung gehabt
hätte von dem geplanten Ultimatum und der in Aussicht genommenen
Strafexpedition gegen Serbien, so würde ich auf alle Fälle Deutschland
wenigstens rechtzeitig mit Getreide vollgepumpt haben.‘‘ Das Ungeschick,
Die Weltkriss mit dem unser Comit& — nicht de Salut public, sondern de Catastrophe
durch das publique — die durch das Ultimatum hervorgerufene Weltkrisis weiter
Ultimatum behandelte, spottete jeder Beschreibung. Die englischen Ver-