Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

1908 und 1914 
180 GRAF LEOPOLD BERCHTOLD 
Fehler gewesen wäre: dem Wiener Kabinett die Absendung einer derartigen 
Note an Serbien in voller Kenntnis ihres Inhalts zu erlauben oder Österreich- 
Ungarn einen Blanko-Wechsel für seine Politik gegenüber Serbien auszu- 
stellen. Der kluge Ballin hat mir mehrmals gesagt, daß er die zweite 
Alternative für die noch größere Dummheit hielte. Wenn er die Absicht 
habe, seinem Sozius zu erlauben, ihr gemeinschaftliches Kapital in Monte 
Carlo auf Rot oder Schwarz, Pair oder Impair zu setzen, so wolle er 
wenigstens selbst dabei sein, wenn sein Kompagnon den Coup riskiere. Daß 
er aber seinen Sozius allein nach Monte Carlo reisen lasse und dessen 
eigenem Ermessen alles Weitere anheimstelle, sei das Allerdämlichste. Noch 
unverzeihlicher war, ich muß auch dies wiederholen, daß Bethmann und 
Jagow, nachdem sie Zeit gehabt hatten, das Ultimatum gründlich zu 
studieren, nicht wenigstens in Wien kategorisch erklärten, der Abbruch der 
diplomatischen Beziehungen zwischen Österreich-Ungarn und Serbien und 
gar ein militärisches Vorgehen Österreichs gegen Serbien dürfe keinesfalls 
erfolgen, bevor wir die serbische Antwort sorgsam geprüft hätten. Im 
Gegenteil: Je gefährlicher die Situation sich zuspitzte, um so mehr gerieten 
Bethmann und Jagow, Wilhelm Stumm und Diego Bergen in immer 
größere, schließlich blinde Abhängigkeit vom Wiener Ballplatz, wo Graf 
Leopold Berchtold thronte. Bei Jagow spielte hierbei, wie ich schon an- 
deutete, kleinjunkerliche Voreingenommenheit für die „ehrwürdige und 
heilige‘ habsburgische Monarchie mit. Den anderen Mitgliedern der Berliner 
Zentrale, die das waren, was adliger Hochmut „Roturiers“ nennt, im- 
ponierte ein Vollblutaristokrat, Vliesritter und großer Kavalier wie Berch- 
told, der einen Rennstall hielt, glänzende Jagden gab und von sich zu sagen 
pflegte, daß es für ihn als Minister nur zwei wirklich angenehme Augenblicke 
gäbe: den Moment seiner Ernennung, wo er als Nachfolger des Fürsten 
Clemens Metternich und des Fürsten Felix Schwarzenberg die Glück- 
wünsche seiner Standesgenossen entgegengenommen habe, und den Tag, 
wo er seinen Abschied einreichen werde, um sich nur noch der Jagd und 
seinem Rennstall zu widmen. Von einem solchen Schwachmatikus ließen 
sich Bethmann und seine Mitarbeiter in Krieg und Verderben verstricken. 
Ohne den Krieg zu wollen, nur aus Einfältigkeit. 
Nur einmal im Laufe jener verhängnisvollen Entwicklung hat sich 
Bethmann Hollweg zu einer einigermaßen klaren Verwahrung aufgerafft, 
als er am 29. Juli von Österreich die Wiederaufnahme der abgebrochenen 
direkten Besprechungen mit St. Petersburg mit den Worten forderte: „Wir 
sind zwar bereit, unsere Bündnispflicht zu erfüllen, müssen es aber ab- 
lehnen, uns von Wien leichtfertig und ohne Beachtung unserer Ratschläge 
in einen Weltbrand hineinziehen zu lassen.‘ Nachdem Bethmann, Jagow 
und mit ihnen leider auch Wilhelm II. von Anfang an Österreich Carte
	        
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