GEGENTENDENZEN 197
Den vorher erwähnten Brief an Herrn von Bethmann deponierte ich bei
meinem Generalbevollmächtigten in Hamburg, Herrn Heinrich Meinecke,
in dessen Safe er geruht hat, bis ich ihn mir jetzt, während ich meine Denk-
würtdigkeiten diktiere, wiedergeben ließ. Ich will schon hier erwähnen,
daß Beihmann und Jagow nur schr ungern darauf verzichteten, die Rück-
kehr des Herrn von Flotow auf den römischen Botschafter-Posten dessen
eigenem Ermessen anheimzustellen. Am liebsten wäre es ihnen gewesen,
wenn Flotow sich nach wenigen Wochen gesund gemeldet und die Zügel
der Botschaft wieder in die eigene kräftige Faust genommen hätte. Da dies
nicht mehr anging, wurde Flotow wenigstens ermächtigt, in Italien zu
bleiben und alles Weitere in dem milden Klima von Neapel am schönen
Posilipo abzuwarten. Von dort hat Flotow während meiner ganzen Tätig-
keit in Rom Privatbriefe an Jagow und Bethmann gerichtet. Das Thema
seiner Ausführungen war: Italien denke gar nicht daran, zu den Waffen
zu greifen. Fürst Bülow schildere die Lage gefährlicher, als sie in Wirk-
lichkeit sei, um sich auf diese Weise einen bequemen und leichten
Erfolg zu konstruieren. Jagow sekundierte seinem geliebten Freunde nach
Kräften.
Als unsere gute Kaiserin in Gegenwart ihrer Oberhofmeisterin, meiner
Kusine, der Gräfin Therese Brockdorff, am Tuge meiner Abreise nach Rom
Herrn von Jagow, der eine Audienz bei ihr nachgesucht hatte, die innige
Hoffnung aussprach, es werde mir gelingen, Italien neutral zu halten, er-
widerte der Staatssekretär des Äußern: „Aber, Euer Majestät, die Aufgabe
ist so leicht! Wir haben dem Fürsten Bülow den Trentino in seinem
Koffer mitgegeben. Damit kann jetzt jeder Italien vom Kriege ab-
halten.“
Das war eine Unwahrheit. Wir hatten hinsichtlich des Trentino von
Wien noch nicht die geringste bindende Zusage erhalten. Im Gegenteil:
Jagow hat auch später, und zwar während der ganzen Dauer meiner
Mission, durch mündliche Äußerungen gegenüber dem österreichischen
Botschafter in Berlin, durch Briefe an den deutschen Botschafter in Wien
und endlich durch die Entsendung des gehässig antiitalienischen und dabei
mir, gerade weil er mir früher in unwürdiger Weise geschmeichelt hatte,
jetzt doppelt feindlich gesinnten Grafen Anton Monts nach Wien, die
Österreicher von einem raschen und ehrlichen Entgegenkommen gegenüber
den italienischen Kompensationswünschen abgehalten. Herr von Flotow
seinerseits hatte wohl nur im Sinne seines Chefs und Freundes, des
Staatssekretärs Jagow, gehandelt, wenn er, bevor er Rom verließ, um
sich nach der bella Napoli zurückzuziehen, zu dem Botschaftsrat von
Hindenburg, einem vornehm gesinnten, pflichttreuen und wahrheits-
liebenden Ehrenmann, wörtlich sagte: „Fürst Bülow hat es durch allerlei
Der Trentino