Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Moltke über 
den Krieg 
206 GRÄFIN MOLTKE BEKLAGT SICH 
schauplatz alles wieder in Ordnung zu bringen und zum Guten zu wenden. 
Der Kaiser und Falkenhayn hätten auch nicht auf die Ratschläge gehört, 
die ihnen Moltke für die Verproviantierung «es Landes gegeben habe. Diese 
Klage war nicht unbegründet. Multke hatte mit Clemens Delbrück zu den- 
jenigen gehört, die schon früh erkannten, daß wir beizeiten gegen die uns 
drohende Hungerblockade Vorsorge treffen mußten. 
Schon vor diesem Besuch hatte ich mit Moltke Briefe gewechselt. Ich 
hatte dem alten Freund, dessen hartes Schicksal mir naheging, Worte der 
Teilnahme und Sympathie geschrieben. Ich gebe seine Antwort wieder: 
„Euer Durchlaucht haben mir mit Ihren freundlichen und, wie ich wohl 
sagen darf, freundschaftlichen Zeilen vom 24. d. M. eine sehr große Freude 
gemacht. Nicht das, was Euer Durchlaucht über unsern Aufmarsch sagen, 
ist es, denn dafür gebührt die Anerkennung nicht einem einzelnen, sie ge- 
bührt der Gesamtarbeit des Generalstabs, der Pflichterfüllung und Arbeit 
aller Offiziere, die an dem gewaltigen Werk des Aufmarsches eines Millio- 
nenheercs beteiligt waren, in erster Linie den über alles Lob erhabenen 
Leistungen der Eisenbahnabteilung. Die Siege, die dem Aufmarsch folgten, 
sind aber das Verdienst der todesmutigen Tapferkeit unserer Soldaten und 
ihrer Führer vom ersten bis zum letzten Mann. Es ist unser Vulk selbst, 
das Volk in Waffen, das diese Siege mit Hingabe seines Herzblutes errungen 
hat, ihm gebührt die Ehre. Und nicht nur das Vulk in Waffen, auch die 
Gesamtheit der Nation, die tapfer und zu jedem Opfer bereit hinter dem 
Heere steht, hat ihren Anteil an dem bisher Errungenen. Sie ist es, aus der 
das Heer sich immer neue Kraft holt, mit der es innig verbunden ist mit 
Millionen Fäden, die ihren Geist, ihre hochgemute Gesinnung in einem 
immer belebenden Strom dauernd in das Heer einfließen läßt und ihm 
Stärke verleiht. Das ganze deutsche Volk führt diesen Kampf um das 
Heiligste, was cs hat, um seine nationale Selbständigkeit, um den Schutz 
des Vaterlandes vor Vergewaltigung und Vernichtung. Und in diesem 
großen Volksganzen von siebzig Millionen lebt das Bewußtsein, daß es den 
Kampf nicht nur im eigenen, sondern im Interesse der gesamten Mensch- 
heit führt, daß es gilt, für diese das deutsche Geistesleben zu erhalten, das 
allein die Gewähr bietet, die Menschheit weiter zu führen auf dem Wege 
geistiger Kultur. Man müßte an jeder Weiterentwicklung verzweifeln, wenn 
diese höchsten Güter von russischer Barbarei, von englischem Materialis- 
mus überwältigt und vernichtet werden sollten. Daher bin ich mit Ihnen 
der gewissen Zuversicht, daß unser Volk unbesiegbar ist und sein muß. Wie 
ich Ihre Worte las über die mangelhafte diplomatische Vorbereitung dieses 
Krieges, mußte ich an so manche Unterhaltung denken, die wir in früheren 
Zeiten gehabt haben. Seit Euer Durchlaucht die Jiplomatische Leitung 
niedergelegt haben, hat nur ein Gedanke dieselbe beherrscht: Erhaltung
	        
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