Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

KRIEG UND DIPLOMATIE 207 
des Friedens um jeden Preis! Daß es die höchste Aufgabe der Diplomatie 
sein muß, den Staat so zu führen, daß er eventuell unter möglichst gün- 
stigen Vorbedingungen in einen Krieg eintreten könne, war völlig ver- 
gessen. Und doch stand dieser Krieg seit Jahren fast greifbar deutlich vor 
der Tür. Wir wollten ihn nicht haben, wir wollten ihn nicht vor- 
bereiten, wir wollten ihn nur verhindern. Daß die Weltentwickluug einer 
neuen Phase zustrebte, daß das Gewitter des europäischen Krieges sich ent- 
laden mußte, wurde nicht erkannt. Wie wäre es sonst möglich gewesen, daß 
so schwere Schläge wie das Versagen Rumiüuiens und Italiens uns unvor- 
bereitet treffen konnten. Ich bin der Überzeugung, daß der Krieg schon 
jetzt siegreich für uns erledigt sein würde, wenn es gelungen wäre. diese 
beiden Staaten an unserer Seite zu erhalten. Daß dies nicht geschehen ist, 
wird die Geschichte einst als schwersten Fehler verurteilen. Auch über diese 
Dinge haben wir früher öfter gesprochen. Sie lebten lebendig in Ihnen, 
Durchlaucht, und die Befürchtung, daß die für das Deutsche Reich von so 
überragender Bedeutung wichtigen Ziele vergessen werden könnten, war es, 
die mir das Herz schwer machten, als Sie schieden. Wenn es Gottes Wille 
ist, daß wir trotzdem siegreich aus diesem Riesenkampf hervorgehen, so 
wird es vor allem auf eins ankommen: Die ethischen Krüfte, die er in 
unserem Volk hat aufleben lassen, der hohe Idealismus, der es durch alle 
Volksschichten hindurch erfüllt, die herrliche Einheit der Nation, die 
Klassen- und Parteiunterschiede ausgelöscht hat, das alles sind geistige 
Güter höchster Art. Das brennende Feuer des Schmerzes hat in der Volks- 
seele las Gold höchster idealer Gesinnung herausgeschmolzen, es hat sie 
von dem materiellen Zug abgewendet, der in den Jahren des Wohllebens 
und Gedeihens diese Volksseele zu ersticken drohte und der parteiischen 
Hader, Zwietracht und Neid in die Massen trug. Hier ist durch den Krieg 
ein Schatz aus den Tiefen des Volkes gehoben worden von ullergrößtem 
Wert und Bedeutung. Wenn der höchste Wille, der die Geschicke der 
Menschheit leitet, es gut mit uns meint, so gebe er uns Männer, die nicht 
nur mit materiellen Ergebnissen des Friedens rechnen, sondern die es ver- 
stehen, dem Deutschtum das geistige Gut zu erhalten, das der Krieg ihm 
gegeben hat. Das ist mein heißer Wunsch und zugleich meine Besorgnis. 
Der Staatsmann, der es jetzt nicht versteht, in die Tiefe unserer Volksseele 
zu blicken, ihren lebendigen Odem zu spüren, wird das Volk nicht der Be- 
stimmung entgegeuführen, die ihm vorgezeichnet ist. Sie wissen, Durch- 
laucht, wie sehr ich Sie verehre, aber nicht nur diesem Empfinden ent- 
springt mein sehnlicher Wunsch, daß Sie es sein mögen, der diese Aufgabe 
zu lösen berufen ist. Ich weiß, daß Sie Verständnis für die hier angeregten 
Fragen haben. Sie haben schon einmal an den Idealismus unseres Volkes 
appelliert, und Sie haben den Erfolg unserer damaligen schwierigen Ver-
	        
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