210 ERZBERGERS TRAURIGES ENDE
Er fing damit an, mir zu sagen, daß er mich nur aus Parteirücksichten
angegriffen, sich aber dabei gar nichts Böses gedacht habe und jetzt Ver-
ehrung und Bewunderung für mich empfinde. Ich könne mich vollständig
auf ihn und seine Ehrlichkeit verlassen. Bethmann und Jagow hätten ihn
aufgefordert, nach Rom zu fahren, ihm auch eine besondere Chiffre mit-
gegeben und ihm gesagt, er möge über seine Beobachtungen namentlich
über mein Verhalten ihnen rückhaltlos berichten. Natürlich wären die Ab-
sichten des Kanzlers und des Staatssekretärs bei dieser Aufforderung nicht
gerade freundlich für mich gewesen. Er würde aber nach Berlin nichts
telegraphieren noch schreiben, was er mir nicht vorher gezeigt hätte.
Diesem seinem Versprechen ist Erzberger treu geblieben. Er hat mir alle
seine Berichte und Meldungen nach Berlin vorher vorgelegt, mich auch über
seine in Rom geführten politischen Gespräche genau informiert. Als er,
nicht ohne Grund, für seine persönliche Sicherheit fürchtete, weil seine
häufigen Besuche im Vatikan von der italienischen Presse abfällig kritisiert
worden waren, forderte ich ihn auf, bei mir in der Villa Malta Wohnung zu
nehmen, und zeigte gleichzeitig der Consulta an, daß der Abgeordnete Erz-
berger von mir der Botschaft interimistisch attachiert worden sei. Der gute
Matthias schien dies als eine erfreuliche Vorbedeutung für künftigen diplo-
matischen Aufstieg aufzufassen. Ich räumte ihm zwei schöne Zimmer im
zweiten Stock ein, von wo er einen herrlichen Rundblick auf die Ewige
Stadt, die mächtige Kuppel der Peterskirche und die Berge hatte, die Rom
umkränzen. Er war mir und meiner Frau ein angenehmer Hausgenosse. Er
war natürlich und behaglich, er konnte auch drollig sein, wenn er, gemütlich
schwäbelnd, von Berlin erzählte. Er wisse selbst nicht, warum der Reichs-
kanzler einen solchen Affen an ihm gefressen hätte. Er müsse mindestens
einmal wöchentlich bei ihm speisen. Neulich habe „der Herr Kanschler“ zu
ihm gesagt: „Wie fangen Sie es nur an, um so viele gute Einfälle zu haben ?
Mir fällt nie etwas ein.‘ Erzberger erzählte das ohne jede Ironie.
Als der Arme später ein so trauriges Ende fand, übersandte mir seine
Witwe die Traueranzeige mit seinem Bild, das als Unterschrift die Worte
des Apostels Paulus trug: „Ich habe den guten Kampf gekämpft, ich habe
Glauben gehalten.‘ So erschien er nicht nur seiner Familie, seinen näheren
Freunden, seinen Landsleuten in Buttenhausen, sondern auch einem großen
Teil des klerikalen wie des demokratischen Deutschland. Ein anderer Teil
des Volkes sah in ihm einen Schädling, ja einen Verbrecher. Ein deutscher
Gerichtshof, ehrenhafte und in jeder Beziehung hochstehende Richter
haben ihm Ausbeutung seiner politischen Stellung für private Erwerbs-
zwecke bescheinigt. Der Advokat seines Gegners Helfferich schlug auf die
vor ihm liegende Mappe und rief zu Erzberger gewandt: „Hier ist Material,
mit dem jeder Assessor ein Dutzend Prozesse gegen Sie anstrengen und