216 EIN KABINETTS-CHEF METTERNICHS
er von seinen Verehrern genannt wurde, pflegten mit der selbstbewußten
Versicherung zu schließen: „Je suis le rocher de l’ordre politique et social.“
Graf Greppi hatte mit Chateaubriand und mit Alfred de Musset gesprochen,
er hatte dem Gesang der Henriette Sontag gelauscht, er sah die göttliche
Fanny Elßler tanzen. Als es 1848 zum Kriege zwischen der habsburgischen
Monarchie und der von dem Hause Savoyen geführten italienischen Natio-
nalbewegung kam, verließ Greppi den österreichischen Dienst. Einige Jahre
später in die italienische Diplomatie aufgenommen, fungierte er als Bot-
schafter des Königreichs Italien in Madrid und St. Petersburg. Er hatte viel
erlebt und viel geschen, ohne sich je in seinem Gleichmut stören zu lassen.
Als ich ihn einmal frug, wie er es angefangen habe, um so alt zu werden,
antwortete er mir: „Ich habe mich niemals und über nichts geärgert.“ Mit
feinem Lächeln fügte er hinzu: „Einmal, aber wirklich nur einmal, bin ich
diesem meinem Grundsatz untreu geworden. Das kam so: Ich befand mich
Ende der achtziger Jahre, damals italienischer Botschafter in St. Peters-
burg, auf Urlaub in Rom. Ich hatte bei Gianette Doria in seinem schönen
Palazzo gegessen und sehr gut gegessen. Als ich nach dem Diner das Haus
verließ und auf den Corso trat, wurden die Abendzeitungen ausgerufen.
Ich kaufte mir die ‚Tribuna‘ und fand an der Spitze der Nummer in ge-
sperrtem Druck die Nachricht, daß der Botschafter in St. Petersburg, Graf
Greppi, in den Ruhestand versetzt worden sei. Das war ein brutaler Akt
von Crispi, qui n’en faisait jamais d’autres. Er hatte den guten König
Humbert das Dekret, durch das ich in den Ruhestand versetzt wurde,
unterschreiben und dieses Dekret sofort veröffentlichen lassen, ohne mich
auch nur zu informieren. Einen Augenblick, ich schäme mich, es zu sagen,
war ich verstimmt, ich ärgerte mich. Aber das dauerte nicht lange. Sehr
bald machte ich mir klar, daß ich mich im Ruhestand glücklicher und freier
fühlen würde als in den Fesseln des Dienstes und zufriedener in Rom, in
Mailand und am Comersee als auf ausländischen Posten. Ne jamais se
faire du mauvais sang, voilä la vraie Eau de Jouvence.“ Greppi ist 103 Jahre
alt geworden. Am Nachmittag des Tages, wo er am Abend ohne Todes-
kampf in seinem väterlichen Palais in Mailand das Haupt senken und ver-
scheiden sollte, hatte er in bester Stimmung den Rennen beigewohnt. An
seinem hundertsten Geburtstage, am 26. März 1919, hatte er für die
hundert nach seiner Meinung schönsten Damen in Rom ein Diner im Grand
Hötel gegeben. Jede Dame fand auf ihrem Kuvert eine prachtvolle Rose.
An jenem Dezembertag 1914, an dem ich dem Grafen Greppi nach
meinem Eintreffen in Rom auf dem Pincio begegnete, sagte er mir: „Cette
gurre est differente de toutes les autres guerres que j’ai vues dans ma
longue vie: la guerre de Crim&e, la guerre de 1859 entre l’Autriche et la
France, vos guerres avec l’Autriche en 1866 et avec la France en 1870, les