Erklärungen
Sonninos
220 DAS MINIMUM
noch den Charakter des Ministers des Äußern. Er wollte lediglich bei dem
großen Wirrwarr der Welt, bei dem ungeheuren Durcheinander, irgend
etwas für sein Land profitieren. Seine Stellung im Parlament beruhte
darauf, daß er über die Suada des Südländers verfügte, während Sidney
Sonnino unbeholfen sprach, meistens, was in den Parlamenten romanischer
Völker eine große Seltenheit ist, nicht frei, sondern mit dem Konzept der
vorher von ihm ausgearbeiteten Rede in der Hand.
Sonnino setzte mir von vornherein seine Auffassung der Situation mit
Klarheit und Offenheit auseinander: Die Entente stelle Italien alle von
Italienern bewohnten österreichischen Gebietsteile als Kriegsziel in Aus-
sicht. Wenn eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Italien und der
habsburgischen Monarchie vermieden werden solle, müsse Österreich auch
seinerseits Zugeständuisse machen, in konkreter, in bindender Form. Solche
Zugeständnisse müßten auch in anständiger Form erfolgen. Sie dürften
Italien nicht hingeworfen werden, wie man einem lästigen Bettler ein
Almosen zuwerfe. Sie müßten der Ausdruck des aufrichtigen Wunsches sein,
zwischen den alten Gegnern Österreich und Italien ein festes, sicheres,
klares und dauerhaftes Freundschaftsverhältnis herzustellen. Sie müßten
vor allem so bald als möglich erfolgen. Das Minimum solcher Zu-
geständnisse wäre der Trentino, der überdies nicht althabsburgischer
Besitz sei, sondern bis zum Wiener Kongreß erst ein selbständiges Bistum,
dann ein Teil des vom Vizekönig Eugen Beauharnais regierten Königreichs
Italien gewesen wäre. Natürlich werde von vielen Italienern die An-
gliederung der überwiegend von Italienern bevölkerten Stadt Triest
gefordert. Gegen die Vereinigung von Triest mit Italien sprächen aber
mancherlei Bedenken: entweder würde ein aufblühendes Triest das ihm so
nahe gelegene Venedig schädigen, dessen Handel gerade in den letzten
Jahren von der italienischen Regierung mit Mühe und beträchtlichen
Summen gefördert worden wäre, oder Triest würde verkümmern, das bei
der Vereinigung mit Italien sein jetziges Hinterland verlöre. Gegen die
Erwerbung von Istrien und noch mehr von Dalmatien spräche die Er-
wägung, daß in diesen Teilen der habsburgischen Monarchie das italienische
Element gegenüber dem serbisch-kroatischen ganz in der Minderheit sei.
Die sofortige und vorbehaltlose Abtretung des rein italienischen Teils von
Tirol, des Trentino, Autonomie für Triest im Rahmen der habsburgischen
Monarchie sowie eine bessere Behandlung der Italiener in Istrien und in
Dalmatien seien jedoch unerläßlich.
Sonnino erinnerte mich bei diesem Anlaß daran, daß, nicht allzu lange
vor dem Beginn des Weltkrieges, österreichische Ungeschicklichkeit mit
der plötzlichen Ausweisung zahlreicher italienischer Staatsangehöriger aus
Triest in Italien eine Erbitterung hervorgerufen hätte, die beim Beginn des