Audienz bei
König und
Königin-
Mutter
224 „FATTE PRESTO“
Frankreich, wie sie für die deutschen Truppen in China gegolten und der
Wahrheit entsprochen hatten. Aber unsere Nichtachtung des Vertrags-
und Völkerrechts gegenüber Belgien, noch verschärft durch die plumpe
Bethmannsche Rede vom 4. August 1914 und durch seine tölpelhafte
Wendung, daß völkerrechtliche Verträge nur Papierfetzen bedeuteten,
hatte uns überall, auch in Italien, unermeßlichen Schaden zugefügt. Es
wurde den belgischen Sendboten, unter denen sich gleichzeitig einer der
eloquentesten Führer der Sozialisten und ein berühmter Kanzelredner,
Pater Jansens O.S.B., durch ihre Redegabe hervortaten, nicht schwer,
Mitleid für das „überfallene‘ Belgien und damit Zweifel an der Gerechtig-
‚keit der deutschen Sache zu wecken.
Als ich vom König Viktor Emanuel III. zur Überreichung meiner
Kreditive empfangen wurde, begrüßte er mich mit den Worten: „Si vous
etiez rest©E au pouvoir, toutes ces betises ne seraient pas arrivees.““ Im
weiteren Verlauf der Audıenz setzte mir der König mit Ruhe und in rein
sachlichem Ton auseinander, daß, nachdem Italien mit der Ultimatums-
Aktion üherrumpelt worden sei, es für jede italienische Regierung un-
möglich gewesen wäre, an der Seite der Zentralmächte in den Krieg zu
treten. Überdies hätte Deutschland von sich aus Frankreich wie Rußland
den Krieg erklärt, naclıdem es schon durch sein Gewährenlassen der
österreichischen Aktion den Geist des Bündnisvertrages verletzt hätte. Er
wisse wohl, daß von deutscher Seite hierbei keine Perfidie vorgelegen habe.
Das hätte auch der bisherige italienische Botschafter in Berlin, Herr
Bollati, immer wieder hervorgehoben. Aber in der Politik wirke Un-
geschicklichkeit oft noch schädlicher als Bosheit. Der König sprach
höflicherweise nicht von „maladresse‘, sondern nur von einem „certain
manque d’habilete“. Jetzt komme es darauf an, daß Österreich die nötigen
Konzessionen bald mache. „Tatte presto.“
Am nächstfolgenden Tage wurde ich mit meiner Frau von der Königin-
Mutter Margherita empfangen. Vor dem Kriege hatten wir, meine Frau
und ich, als Privatleute oft ihre Gastfreundschaft genossen, in ihrem
schönen römischen Palais wie in ihrem Schloß Stupinigi bei Turin. Sie liebte
ernste Gespräche. Vor dem Weltkrieg war sie, die Tochter einer deutschen
Mutter, einer Prinzessin von Sachsen, einer Schwester der Könige Albert
und Georg von Sachsen, ebenso deutschfreundlich wie ihr ritterlicher
Gemahl, der König Humbert. Sie sprach und schrieb Deutsch wie eine
Deutsche. Aber die Ultimatumsaktion, die Bethmannschen rednerischen
Entgleisungen und die Invasion von Belgien hatten nach dem, was ich
gehört hatte, ihr schr mißfallen. Als ich in Rom eintraf, war ihr von alten
Dienern ihres Hauses längst gesagt worden, daß sie sich vor allem nicht
in Widerspruch zu den italienischen nationalen Aspirationen setzen dürfe.