DAS HAUS SAVOYEN 227
und vornehmen Charakter in meiner in jeder Beziehung schwierigen und
gefährdeten Stellung die wertvollsten Dienste leistete.
Die italienische Gesellschaft zeichnete sich durch den Takt und das feine
Gefühl aus, die alten Kulturvölkern eigen zu sein pflegen. Während der
fünf Monate meiner Tätigkeit in Rom wurde mir von allen Seiten, sowohl
von denen, die den Krieg mit Österreich wollten, den sogenannten Guerri-
fondaji, wie von den Gegnern des Krieges mit gleicher Höflichkeit und
Achtung begegnet. Dem entsprach die Haltung des Volkes. Selbst in den
Tagen, wo Presse, Parlament und Straße die Kriegsfrage in der heftigsten
und leidenschaftlichsten Weise erörterten, wurde jch bei meinen täglichen
Spaziergängen auf dem Corso, in der Villa Borghese oder auf dem Pincio
niemals bedroht oder auch nur durch Neugierde belästigt.
Wenige Tage vor der italienischen Kriegserklärung an Österreich aß
einer der ausgesprochensten Anhänger der Kriegspolitik an meinem Tisch,
der General Graf Morra. Er hatte in der Schlacht von Novara, 1849, als
blutjunger Offizier in den Reihen der piemontesischen Armee gekämpft.
Er hatte den König Carlo Alberto vor sich gesehen, wie dieser durch
die Reihen des Heeres ritt in der schwermütigen Haltung, mit der der
Herrscher auf seinem Monument nahe dem Quirinal dargestellt ist. Als der
König den jungen Morra erkannte, den Sohn seines Hofmarschalls, reichte
er ihm freundlich die Hand und sagte zu dem Jungen, er habe ihm Grüße
von seinem Vater zu bringen, dem er Ehre machen möge. Aus dem Leutnant
von Novara wurde mit der Zeit ein General, später der Erzieher des Königs
Viktor Emanuel III. und endlich der Botschafter in St. Petersburg. Sein
Standpunkt, den er gegenüber seinem früheren Zögling und dessen Mutter
vertrat und den er auch mirim Winter 1914/15 nicht verhehlte, war: Das
Haus Savoyen muß, gleichgültig gegen alle anderen Erwägungen, unbeirrt
durch Widerspruch und Zweifel, immer mit der italienischen Nationalidee
gehen. In den bangen Tagen, wo Carlo Alberto schwankte, ob er, treu den
bisherigen Traditionen seines Hauses, mit den Österreichern gehen solle
oder gegen die Österreicher mit der national-revolutionären Bewegung,
sagte der zu Melancholie neigende Monarch zu seinem Hofmarschall Morra:
„Je suis entre le poignard des Carbonari et le chocolat des JEsuites.‘“ Er ging
mit den Carbonari, wurde bei Novara besiegt, starb im Exil in einem
portugiesischen Kloster, in Oporto, behielt aber doch recht. Und sein Sohn
hatte recht, trotz Novara die nationale Politik fortzusetzen. Die Politik von
Cavour wurde von dem größeren Teil des piemontesischen Adels und fast
der ganzen Geistlichkeit heftig bekämpft. Sie hat uns aber nach Mailand,
Florenz, Neapel, Palermo und schließlich nach Rom geführt. Der Einmarsch
in Rom stieß auch in Norditalien, und gerade in Piemont, wo seit jeher die
Kirche großen Einfluß ausübte, auf Tadel und Widerspruch. Aber trotz
15°
Gespräch mit
dem General
Morra