DER RUBIKON ÜBERSCHRITTEN 233
Ende März erschien unvermutet Flotow aus Neapel in Rom. Er stieg
im Palazzo Caflarelli ab, wo er sich meine Berichte vorlegen ließ und sich
auf Grund dieser Berichte Notizen machte, selbstverständlich zu dem
Zweck, meine Ausführungen, Ratschläge und Forderungen in seiner Privat-
korrespondenz mit dem Staatssekretär von Jagew kritisieren und zer-
pflücken zu können. Er stattete auch dem österreichischen Botschafter,
Herrn von Macchio, zwei längere Besuche ab und setzte diesem, wie ich
bald nachher von Herren der Botschaft, die mit ihren österreichischen
Kollegen auf gutem Fuß standen, erfuhr, mit Nachdruck auseinander. daß
die italienische Regierung gar nicht den Mut finden würde, dem mächtigen
Österreich-Ungarn den Krieg zu erklären. Was Sonnino und Salandra
sagten, sei „Spiegelfechterei“, die Sprache der italienischen Blätter
„Iheaterdonner“. Herr von Flotow deutete dem k. und k. Botschafter
auch an, daß dessen Regierung und insbesondere Seine Kaiserliche und
Königliche Apostolische Majestät es ihm nie verzeihen würden, wenn er
bei der Abtretung des Trentino an Italien sich beteilige oder auch nur dazu
rate. Mich suchte Herr von Flotow während seines zehntägigen Auf-
enthaltes in Rom überhaupt nicht auf, sondern begnügte sich damit,
überall anzudeuten, daß ich in dem, was ich sagte und täte, gar nicht
meine Regierung hinter mir hätte.
Ex post finde ich, daß ich einen Fehler beging, als ich gegenüber solchen
unqunlifizierbaren Treibereien nicht telegraphisch meinen Abschied in
Berlin einreichte. Jedenfalls wundere ich mich heute über meine damalige
Langmut. Durch meinen verewigten Vater und in der Bismarckschen
Schule zu unbedingter Pflichterfüllung gegenüber dem Lande unter
Zurückstellung aller persönlichen Empfindungen erzogen, wollte ich, nach-
dem ich so lange an der Spitze des diplomatischen Dienstes gestanden
hatte, auch bei dieser meiner letzten Mission ein Vorbild unbeirrbarer
Pflichttreue geben. Ich sah aber die Folgen der Flotow-Jagowschen Hal-
tung voraus und richtete vertraulich ein Zirkular an die kaiserlichen
Konsulate, durch das ich die in Italien lebenden Reichsangehörigen auf-
fordern ließ, sich auf die Eventualität eines Krieges zwischen Italien und
den Zentralmächten einzurichten. Vierzchn Tage später wiederholte ich
diese eindringliche Warnung.
Ende April fühlte ich in meinen Gesprächen mit dem Minister Sonnino,
daß er den Rubikon überschritten hatte. Ich konnte dafür keinen
Beweis erbringen, aber ich hörte es seinen Worten an, ich las es in seinen
Augen. Ich gedachte aber des alten Bülowschen Wahlspruches: „Nil
desperandum“, ich erinnerte mich an das schöne Wort des französischen
Sechelden Jean Bart, das auf dessen Denkmal in Dünkirchen steht: So
lange noch eine Kugel im Laufe wäre, müsse diese abgefeuert werden. Ich
v. Flotow
in Rom