UNRUHVOLLE TAGE 235
erwogene Meinung seiner Minister handeln könnc, wenn diese nicht nur
die Mehrheit im Parlament, sondern auch, wie sie überzeugt wären, die
öffentliche Meinung, die Tradition und die höchsten Interessen des Landes
auf ihrer Seite hätten. Der König dankte mir für die loyale Art und Weise,
wie ich meine Mission erfüllt hätte. „An Ihnen liegt es jedenfalls nicht, wenn
es doch zum Kriege kommt.“
Inzwischen wollte der österreichische Botschafter, Baron Macchio, noch
immer nicht an die Möglichkeit eines Krieges glauben. Als ich ihm in der
ersten Maiwoche sagte, die Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn
werde zweifellos innerhalb der nächsten vierzehn Tage erfolgen, meinte er:
„Ach, die Italiener sind halt immer so aufgeregt! Sie werden sich schon
wieder beruhigen.“
Das Berliner Auswärtige Amt war nicht weniger blind. Wenige Tage
vor der Kriegserklärung Italiens an Österreich-Ungarn wurden mir vom
Amt zu meiner Örientierung und Direktive die Reiseeindrücke eines
angeblich besonders scharfsinnigen und intelligenten deutschen Rei-
senden übersandt, der auf seiner ganzen Fahrt von der italienisch-öster-
reichischen Grenze bis nach Neapel nirgends ernsthafte Symptome für
kriegerische Absichten der Italiener wahrgenommen haben wollte. Es
waren dies die unruhvollen Tage, in denen von früh bis spät große Pferde-
und Mannschaftstransporte die Straßen der italienischen Städte durch-
zogen und in der Hauptstadt ein so reges militärisches Leben herrschte, wie
es dem Ausmarsch bei großen Manövern oder einer Mobilmachung voraus-
zugehen pflegt.
Drei Tage vor der italienischen Kriegserklärung an Österreich {rug ein
höherer Beamter im Wiener Ministerium des Äußern, Graf Nemes, der
soeben aus Wien in Rom angekommen war, telephonisch bei mir an, wann
er mir seine Aufwartung machen könnte. Ich lud ihn zum Frühstück ein.
Graf Nemes begrüßte mich mit der Bemerkung, er sei sehr perplex. Der
österreichische Minister des Äußern, Graf Burian, habe ihn beauftragt, mir
seine angelegentlichen Empfehlungen zu übermitteln und mir gleichzeitig
seinen Wunsch auszusprechen, ich möge das Opfer bringen, den Sommer
über in Rom zu bleiben, um meine „verdienstvolle Friedensarbeit““ weiter
fortzusetzen. Der Minister zweifle nicht daran, daß es meiner „bewun-
derungswürdigen Dialektik‘ gelingen würde, die Italiener nach und nach
ganz zu beruhigen. Dies sei die Wiener Auffassung, betonte Graf Nemes.
In Rom sei die Stimmung aber offenbar eine andere. Graf Nemes war bei
seiner italienischen Schwiegermutter, der Gräfin Gabriele Spaletti, in deren
römischem Villino abgestiegen. Sie hatte ihn unter Tränen umarmt und ihn
gefragt, was er eigentlich in Rom wolle, der Krieg stünde ja unmittelbar
vor der Tür, unter dem sie, als Italienerin und gleichzeitig Mutter einer mit
Vor der
Kriegs-
erklärung