242 DAS SCHULDKONTO
nicht auf die Grenze, die unseren Druckmitteln auf Wien gezogen war, nach-
dem Österreich bedeutende Truppenmassen unter Preisgabe Ostgaliziens
zum Schutze Schlesiens abgezweigt hatte, nicht auf den Starrsinn der
österreich-ungarischen Minister. die bis in die letzten Tage der Krisis allen
unseren Vorstellungen die mit Eurer Durchlaucht Meldungen unverein-
baren Berichte ihrer römischen Vertreter entgegenhalten konnten, nicht auf
die schroff ablehnende Haltung Kaiser Franz Josefs, der sich den Briefen
und Missionen unseres Allergnädigsten Ilerrn und selbst dem persönlichsten
Einfluß des Papstes unzugänglich erwies. So ist Berlin jetzt verurteilt, auf
alle Vorwürfe, die ihm gemacht werden, zu schweigen, bis eine spätere Zeit
das Sprechen gestatten wird. Die Schädigungen aber, die der moralischen
Widerstandskraft Deutschlands zugefügt werden, wenn sich Kreise bilden,
die den italienischen Krieg auf mein und meiner Mitarbeiter Schuldkonto
setzen, wachsen sich zu einer Erschütterung aus, wenn die Kritik, den ein-
mal eingeschlagenen Weg verfolgend, mit der gleichen Tendenz bis zur Vor-
geschichte des Krieges hinaufsteigt. Behauptungen wie die, daß der Krieg
hätte vermieden oder doch in günstigerer Konstellation hätte ausgefochten
werden können oder daß er doch nahe an einen Präventivkrieg streife,
lassen, wo sie hinfallen, einen Stachel sitzen und schmeicheln sich um so
fester bei den weniger Nachdenklichen ein, je mehr sie von den großen ge-
schichtlichen Zusammenhängen absehen. Was der weiter zurückliegenden
Vergangenheit angehört, was mit und ohne unsere Schuld zu der großen
Koalition gegen uns führte, was bei fortschreitendem Niedergang Öster-
reichs und stetiger Erstarkung der Entente die Kräfte Deutschlands immer
bedrohlicher isolierte, was uns seit dem Jahre 1905 in der Marokko-Frage,
später in der bosnisch-herzegowiniscl Krisis, dann wiederum in der
Marokko-Frage zu einer Politik äußersten Risikos, und zwar eines sich mit
jeder Wiederholung steigernden Risikos, zwang — alle diese Vorgänge gehen
in den gewaltigen Eindrücken der Gegenwart unter, bis die Zeit nach dem
Frieden allmählich die Ursachen eines Weltverhängnisses klarer erkennen
lassen wird, das viel zu gewaltig ist, als daß es singuläre Ereignisse zum
Ursprung haben könnte. Daß ich Dinge ausspreche, die Eure Durchlaucht
mit Ihren weiten politisch-historischen Kenntnissen noch klarer und rich-
tiger durchschauen, als ich es vermag, geschieht aus der vaterländischen
Sorge, die mir durch mancherlei auch ernste politische Kreise beherr-
schende Gespräche erweckt wird. Aus der Macht, die Eure Durchlaucht mit
Ihrer Person und Ihrem Wort auf die Menschen ausüben, wissen Sie zu
genau, wie das Empfinden und Denken des Volkes und der Öffentlichkeit
geleitet und gelenkt werden kann. Um so mehr werden Eure Durchlaucht,
wie ich hoffe, meine Bitte würdigen, mit dahin zu wirken, daßnicht durch
die Vorwegnahme einer Kritik, die jetzt noch nicht offen und frei,