EIN KAISERLICHES HANDSCHREIBEN 253
Grenze. Ideen setzten sich schließlich durch. Das gelte auch von ver-
derblichen und irrigen Ideen wie der marxistischen. Ich stand unter dem
Eindruck, einen Mann von großen Horizonten vor mir zu haben. Und ich
begriff, warum noch jeder Jesuitengeneral auf den Purpur verzichtet hat.
Diese Stellung ist interessanter, umfassender und einflußreicher als die der
meisten römischen Kardinäle.
Die Errichtung eines selbständigen Polenreichs, die überdies gerade in
diesem Moment die Zerstörung der Aussicht auf einen Sonderfrieden mit
Rußland bedeutete, hat sich bald genug als ein fürchterlicher Fehler heraus-
gestellt. Ich kann ohne Übertreibung sagen: wohl als der größte politische
Fehler, den je ein deutscher Minister, den irgendein leitender Staatsmann
begangen hat. Unser Friedensangebot vom 12. Dezember 1916 war in-
opportun und ungeschickt. Das Handschreiben Kaiser Wilhelms II. an
Bethmann vom 31. Oktober 1916, mit dem er den Frieden herbeizuführen
hoffte, war nicht schlecht gemeint, aber zu sentimental, zu naiv, beinahe
kindisch. Das Kindische ist aber in der Politik selten wie im „Don Carlos“
des Dichters „göttlich schön“. Das Handschreiben des Deutschen Kaisers
klang auch, wie so manche Kundgebung Wilhelms II., zu eitel. „Zu einer
solchen Tat gehört ein Herrscher, der ein Gewissen hat und sich Gott
verantwortlich fühlt und ein Herz für seine und die feindlichen Menschen,
der unbekümmert um Mißdeutungen den Willen hat, die Welt von ihren
Leiden zu befreien. Ich habe den Mut dazu! Ich will es auf Gott wagen!
Legen Sie mir schnell die Noten vor und machen Sie alles bereit.‘‘ Das war
nicht staatsmännisch. Die Freude, die dieses kaiserliche Handschreiben
und das am 12. Dezember 1916 erfolgte Friedensangebot der Mittel-
mächte in Deutschland hervorriefen, die Harmlosigkeit, mit der selbst in
Berlin weitere Kreise das Ende des Krieges gekommen wähnten, zeigte
einerseits unseren Gegnern, daß in dem bisher für entschlossen, für hart
und unbeugsam geltenden Deutschland die Kriegsmüdigkeit und damit die
innere Auflösung schon weiter fortgeschritten war, als sie bis dahin an-
genommen hatten; andererseits war eine öffentliche, wehleidige und melo-
dramatische Kundgebung nicht der Weg, zu einer Verständigung mit
kalten, kühlen und entschlossenen Feinden zu gelangen.
Ich habe schon erwähnt, daß ich seit meiner Entsendung nach Rom im
Dezember 1914 nur einmal die Ehre gehabt hatte, von Kaiser Wilhelm
empfangen zu werden. Es war im Spätherbst 1916, daß ich die Aufforderung
erhielt, den Abend im Neuen Palais in Potsdam zu verbringen. Ich hatte
mich jedesmal, wenn ich nach Berlin kam, in der üblichen Weise bei Seiner
Majestät gemeldet, wurde aber regelmäßig dahin beschieden, daß wichtige
Geschäfte den Kaiser zu seinem Bedauern verhinderten, mich zu schen.
Gleichzeitig mußte ich besorgten Äußerungen von Freunden aus der
Das Friedens-
angebot der
Mitelmächte
Bülow im
Neuen Palais