FEHLER 255
damals der sechzehnjährige Prinz Wilhelm, ich der sechsundzwanzigjährige
Attache von Bülow. Ich war mit meinen Eltern zum Abendessen ins Neue
Palais befohlen. Wie deutlich sehe ich die herrliche Gestalt, die ritterliche
und freundliche Haltung, das gütige Auge des späteren Kaisers Friedrich
vor mir! Als ob es gestern gewesen wäre, klingt die lebhafte, geistvolle
Konversation der Kronprinzessin Viktoria an mein Ohr. Ich höre den
Prinzen Wilhelm, der mit lauter, vielleicht zu lauter Stimme und in etwas
vorlauter Weise den Anwesenden einen Vortrag über die beiden deutschen
Großschiffahrtslinien, den Bremer Lloyd und die Hamburger Paketfahrt-
Aktien-Gesellschaft, hielt. Das Interesse für Seefahrt, Seeschiffe und See-
macht war echt in ihm, war ihm angeboren, war vielleicht der stärkste Trieb
in ihm. Welch lange Spanne Zeit, wieviel Ereignisse lagen zwischen meinem
ersten und meinem letzten Zusammentreffen mit Wilhelm I1.!
Unter den Deutschen, denen ich in Luzern begegnete, war mir
der bayrische General Graf Max Montgelas eine interessante Er-
scheinung. Aus dem Generalstab hervorgegangen, in dem er bis kurz vor
dem Ausbruch des Weltkrieges in der Operationsabteilung tätig gewesen
war, hatte er im Kriege eine Division geführt, und tapfer geführt. Sein
persönlicher Mut war ebenso zweifellos wie sein Patriotismus, daher setzte
es mich in Erstaunen, als er mich frug, ob ich ihm einen Vorwurf daraus
mache, daß er an den letzten Vorbereitungen für den völkerrechtswidrigen
Einmarsch in Belgien teilgenommen habe. Ich erwiderte ilım natürlich, daß,
wie man auch über die politische Seite dieser Aktion denken möge, der
Soldat lediglich der Fahne zu folgen habe. Noch mehr als für jeden anderen
gelte für den Offizier das Wort: „Right or wrong, my country!“ Montgelas
hatte auch Bedenken gegen die Anwendung giftiger Gase und gegen
Zeppelinangriffe. Ich verhehlte Graf Montgelas nicht, daß ich die Er-
schießung von Miß Edith Cavell ebenso wie die des Kapitäns Fryatt für
Akte hielte, deren Nutzen in keinem Verhältnis zu dem dadurch an-
gerichteten Schaden stünde, also für Fehler. Ich gab überhaupt der
Meinung Ausdruck, daß die Frightfulneß als Prinzip der Kriegführung
große Bedenken habe. Es sei aber Sache und Pflicht der obersten politischen
Leitung, Fehlern der militärischen Instanzen entgegenzutreten. Der Reichs-
kanzler habe zu leiten, nicht nur zu leiden, er müsse führen, nicht sich bei-
seiteschieben lassen. Die Militärs hätten zu kämpfen. Wenn ich richtig
beobachtet habe, so hat der General Graf Montgelas im Laufe des Krieges
mehr und mehr die anfängliche Blässe des Gedankens überwunden und in
seiner Polemik gegen Kautsky den nationalen und patriotischen Standpunkt
würdig und mutig vertreten,
Es ist betrübend, feststellen zu müssen, daß sich in Deutschland, und
nurin Deutschland, eine Anzahl von Leuten fand, die dem eigenen Volke
Graf Max
Montgelas