DIE NEUORIENTIERUNG IM INNERN 257
in der Ordnung gefunden, wenn am 4. August 1914 alle Ausnahmegesetze,
also insbesondere das Jesuitengesetz und das Enteignungsgesetz, aufgehoben
worden wären. Eine derartige Neuorientierung unserer inneren
Politik wäre die natürliche Folge und die beste Illustrierung des schönen
Kaiserwortes gewesen, daß das Oberhaupt des Reichs, der Führer der
Nation, keine Parteien mehr kenne. Gleichzeitig aber mußte, wie dies in
Frankreich und in England geschah, allen Bestrebungen, den kriegerischen
Geist und den Verteidigungswillen der Nation zu zersetzen, den Umsturz
im Innern vorzubereiten, mit großer Wachsamkeit und nötigenfalls mit
unbeugsamer Energie entgegengetreten werden. Es mußte ein scharfer
Strich gezogen werden zwischen patriotischen Sozialisten, deren es eine
große Anzahl gab, und denjenigen Sozialdemokraten, die nur von dem
Wunsch erfüllt waren, aus dem Weltkrieg Nutzen für ihre selbstsüchtigen
Partei-Bestrebungen zu ziehen. Während Wolfgang Heine, Südekum, David,
Noske und manche andere treffliche und tüchtige Sozialisten sich rück-
haltlos in den Dienst des Vaterlandes stellten und die große Mehrheit der
deutschen Arbeiter mit deutscher Treue und Tapferkeit der deutschen Fahne
folgte, zeigte sich bald genug, daß es unter den deutschen Sozialdemokraten,
und nur unter diesen, nicht unter französischen, englischen, italienischen
oder belgischen Sozialisten, Vaterlandsverräter gab. Karl Liebknecht
stimmte als einziger Reichstagsabgeordneter am 2. Dezember 1914 gegen
die Kriegskredite. Das war damals der isolierte Fall eines Fanatikers.
Aber nicht lange danach äußerte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen
Partei, der Abgeordnete Haase: „Wir werden die Armee untergraben,
um die Weltrevolution in Gang zu bringen.“ Es ist Haase und seinen
Mitschuldigen leider gelungen, bei einzelnen Truppenteilen und auch
bei einem Teil der Marine die Disziplin zu untergraben. Die Welt-
revolution haben diese Nichtswürdigen nicht herbeizuführen vermocht,
sondern schließlich nur ihr eigenes Land vor die Füße französischer
Generäle und englischer Admiräle geworfen. Im Februar 1915 erklärte der
sozialdemokratische Abgeordnete Stroebel, Redakteur des „Vorwärts“, jm
Preußischen Abgeordnetenhause: „Ich bekenne ganz offen, daß ein voller
Sieg des Deutschen Reiches dem Interesse der Sozialdemokraten nicht
entsprechen würde.‘ Nie hat im Laufe des ganzen Weltkrieges ein fran-
zösischer, ein englischer, ein italienischer, ein belgischer Sozialist ein
solches Bekenntnis abgelegt, dessen Niedertracht nur von seiner Stupidität
übertroffen wurde. Die Erklärungen von Haase und Stroebel erfolgten in
derselben Zeit, wo in Frankreich, Belgien, Italien und England die Demo-
kratie mit Einschluß ihres äußersten linken Flügels alle Parteiwünsche
und Ansprüche zurückstellte, da es für sie nur noch ein einziges Ziel gab:
der volle Sieg des eigenen Landes.
17 Bülow III