Das Aus-
wärtige Ams
befragı Wien
268 GESELLSCHAFT FÜR ENTSCHIEDENES CHRISTENTUM
Fürsten Bismarck erkorene Dr. Michaelis. Der Kaiser schüttelte ihm die
Hand und frug, ob er Lust habe, das höchste Amt im Reich zu übernehmen.
Michaelis hielt während einiger Augeublicke die Hand vor die Augen, dann
mit feierlicher Stimme: ‚Ich fühle, daß die Unterstützung von oben
mir nicht fehlen wird. Ich nehme an.‘“ Michaelis war ein kreuzbraver Mann.
Als Unterstaatssekretär im Finanzministerium war er mir durch seine
biedere Art aufgefallen. Ein Unterstaatssekretär nahm an Staatsministe-
rialsitzungen nur teil, wenn sein Chef, der Staatsmiuister, am Erscheinen
verhindert war. Wenn Dr. Michaelis seinen Minister, den Freilierrn
von Itheinbaben, zu vertreten hatte und ich ilım das Wort erteilte, so erhob
er sich und legte beide Hände an die Hosennaht. Dann begann er mit etwas
schnarrender Stimme: „Mit gnädiger Erlaubnis Seiner Durchlaucht des
Fürsten Reichskanzlers und in Vertretung meines huhen Chefs, Seiner
Exzellenz des Stauts- und Finanzministers Freiherr von Rheinbaben, habe
ich das Nachsteliende ganz gehorsamst zu erklären.“ Wie Dr. Michaelis in
Bundesratskreisen eingeschätzt wurde, zeigt nachstehende kleine Episode.
Graf Hertling, der zu jener kritischen Zeit zu Bundesratsverhandlungen in
Berlin weilte, speiste mit dem bayrischen Gesandten, dem Grafen Hugo
Lerchenfeld, uud einigen anderen Herren im Restaurant Borchardt, als
ein jüngerer Beamter der bayrischen Gesandtschaft sich dem Grafen
Lerchenfeld näherte und ihm meldete, Seine Majestät der Kuiser habe den
Unterstuatssekretär Michaelis zum Reichskanzler ernannt. Graf Hertling
frug seinen Freund Lerchenfeld, was für ein Mann das eigentlich sei, er habe
nie etwas von ihm gehört. In seiner bayrischen Art erklärte Graf Lerchen-
feld zur allgemeinen Heiterkeit: „Dieser Doktor Michaelis ist, wie wir
Münchner sagen, ein Viech mit Haxn. Mehr weiß ich nicht.“ Der Unter-
staatssekretär Michaelis war nicht nur ein korrekter Beamter, sondern auch
ein frommer Mann. Er gehörte der Gesellschaft für entschiedenes Christen-
tum an, einer pietistisch gerichteten Vereinigung treuer Christen, die auf
ihren Knöpfen und auf ihrem Briefpapier die Buchstaben E. C. trugen.
Von auswärtiger Politik, von internationalen Beziehungen und Verhält-
nissen, von der Welt hatte er keine Alınung.
Der Kaiser verlieh dem Kabinettsrat Valentini zum Dank dafür, daß er
nicht auf mich zurückzugreifen brauchte, den hohen Orden vom Schwarzen
Adler. Vom Auswärtigen Amt war gegen meine Rückkehr mit besonderem
Eifer gearbeitet worden. Zu diesem Zweck wurde Wien in Bewegung ge-
setzt. Das Auswärtige Amt hatte, sobald Beihmann ins Wackeln geriet, an
die Wiener Botschaft telephoniert:
Erstens: Wünuscht die k. und k. Regierung das Bleiben des Kanzlers
Bethmann ?
Zweitens: Wünscht sie die Zurückberufung des Fürsten Bülow’?