Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

DYNASTISCHE AMBITIONEN 275 
Er selbst ist nach ihm nicht in den großen Kasten Wilhelmstraße 77 
gelangt. Aber auch in der kurzen Zeit seiner Amtsführung als Staats- 
sekretär hat er mehr als einmal eine sehr unglückliche Hand bewiesen. Der 
Friede von Brest-Litowsk war ein schwerer Fehler. Es war kein Helden- 
stück, die Bolschewisten zu ganz exorbitanten Zugeständnissen zu bewegen, 
teils weil sie den Frieden um jeden Preis wollten, um sich ungestört der 
gründlichen Ausrottung ihrer inneren Gegner widmen zu können, teils weil 
Trotzki und Genossen sich am Vorabend der von ihnen mit gläubiger Zu- 
versicht erwarteten Weltrevolution glaubten und deshalb jeden Triedens- 
schluß nur als ein Provisorium betrachteten. Der Friede von Brest- 
Litowsk schadete uns in zwei Richtungen. Er erweckte in der ganzen Welt 
den Eindruck deutscher Brutalität und Unersättlichkeit. Er gab der fran- 
zösischen und englischen Propaganda die Möglichkeit, mit neuen Schein- 
gründen das Märchen von den deutschen Weltherrschaftsplänen zu ver- 
breiten. Dieser Friedensschluß mit seinen unsicheren Konturen und seinen 
unbegrenzten Zukunftsmöglichkeiten erweckte gleichzeitig in Deutschland 
an nur zu vielen Stellen die Hoffnung auf Landerwerb. Der württembergi- 
sche Herzog von Urach wollte mit Hilfe des ihm befreundeten Matthias Erz- 
berger König von Litauen werden, ein Gedanke, der dem Abgeordneten 
für Biberach beinahe ebenso sehr am Herzen lag wie die Feststellung einer 
neutralen Zone für den Papst zwischen der Cittä Leonina und Civitä- 
Vecchia zwecks ganz freien Verkehrs des Heiligen Stuhls mit der Außen- 
welt. Der Prinz Friedrich Karl von Hessen, ein Schwager des Kaisers, be- 
warb sich um die Krone von Finnland. Kaiser Wilhelm, dem man von 
den prächtigen Auecrochsen in den Wäldern von Kurland gesprochen hatte, 
wünschte für sich selbst als Hausgut und Jagdgrund das Herzogtum Kur- 
land. Der Kaiser zeichnete recht hübsch und hatte schon das Wappen ent- 
worfen, das er als Herzog von Kurland führen wollte. Auch im Westen 
machten sich dynastische Ansprüche geltend: Bayern wünschte die Teilung 
des Reichslandes Elsaß-Lothringen in der Weise, daß Lothringen an 
Preußen, Elsaß aber an Bayern fallen solle. Württemberg erklärte, daß es 
in diesem Falle als Entschädigung den Regierungsbezirk Sigmaringen 
beanspruche. Sachsen wollte nicht leer ausgehen und ließ durchblicken, daß 
der Oberelsaß ganz wohl von Dresden aus regiert werden könne. Es war, 
als ob in den deutschen Fürstenhäusern kurz vor ihrem Zusammenbruch 
ihre jahrhundertealte Vergrößerungssucht und Leidenschaft des Land- 
erwerbs als später Johannistrieb noch einmal zutage trat. Es betrübte mich, 
im Winter 1917/18 in Berlin zu beobachten, wie sehr trotz des ungeheuren 
Ernstes unserer Lage für viele, allzu viele, selbstsüchtige Bestrebungen, 
kleinliche Ambitionen im Vordergrund standen. Oben und unten: An den 
deutschen Fürstenhöfen wurden Fürstenhüte ausgeteilt wie an der Tafel 
18° 
Der Friede 
von Brest- 
Litowsk
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.