DIE WAURHEIT AN DEN KAISER 283
jetzt in der Tat viel zu tun. Wir sind namentlich damit beschäftigt, brauch-
bare deutsche Vorschläge für den Völkerbund auszuarbeiten, der hoffentlich
die beste Frucht dieses Krieges sein wird.“
In Flottbek, wo ich seit 1915 jeden Sommer mehrere Monate verbrachte,
erhielt ich besonders im Herbst 1918 häufige Besuche von Ballin. Er war
Ende August im Großen Hauptquartier gewesen, auf den ausdrücklichen
Wunsch der O. IH. L., die ihn gebeten hatte, Seiner Majestät endlich reinen
Wein über den Ernst der Lage einzuschenken, was Hindenburg und Luden-
dorff bisher nicht gelungen war. Es war aber Ballin nicht möglich gewesen,
den Kaiser ohne Zeugen zu sprechen. Die Kaiserin und der Kabinettsrat
vun Berg hatten jeden derartigen Versuch vereitelt. Ilerr von Berg war
bald nach dem Rücktritt des Reichskanzlers Bethmann als Chef des Zivil-
kabinetts an die Stelle des Herrn von Valentini getreten. Der letztere hatte
durch seine Beschränktheit, mehr noch durch seinen Mangel an Charakter,
seinem kaiserlichen Herrn und dem Lande schweren Schaden zugefügt. Der
Kaiser trennte sich trotzdem nur ungern von Valentini, der ein frommer
Knecht war und in der Furcht des Herrn, dem er grundsätzlich nie wider-
sprach. Auch Herr von Bethmann Hollweg hatte das ihm mögliche getan,
um Valentini zu halten, der sein Jugendfreund war, mit dem ihn Seelen-
verwandtschaft und gegenseitiges Verständnis verbanden. Es war ein
Verdienst des Kronprinzen, daß nach dem Rücktritt von Bethmann
Hollweg auch Valentini endlich sein Bündel schnüren mußte. Herr von
Berg, sein Nachfolger, war ein Altersgenosse und Korpsbruder Seiner
Majestät, ein ostpreußischer Junker von der guten Sorte: ein anständiger
und aufrechter Mann, der auch dem Kaiser gegenüber kein Blatt vor den
Mund nahm, ein tüchtiger Beamter, vor allem ein Mann von sicherem
Patriotismus. Er genoß das Vertrauen von Hindenburg und Ludendorf.
Aber einer so schwierigen Situation wie derjenigen, in die er sich im Ilerbst
1918 versetzt sah, war Herr von Berg nicht gewachsen. Ballin, immer ver-
ständnisvoll für andere, meinte, als er mir von seinem Mißerfolg im Großen
Hauptquartier erzählte: „Ich will weder die Kaiserin noch Berg tadeln. Die
Kaiserin ist die beste Frau von der Welt, das Idealeiner deutschen Hausfrau.
Berg ist ein anständiger und patriotisch gesinnter Mann. Aber beide sind
der Überzeugung, daß der Kaiser, wenn er die Situation so sähe, wie sie in
Wirklichkeit ist, vollständig zusammenbrechen würde, und sie fragen
beide: ‚Was wäre uns mit einem solchen Kollaps geholfen ?* Die Folge ist,
daß der Kaiser mehr denn je in a fool’s paradise lebt und ein großer, ja der
größte Teil des deutschen Volkes mit ihm.“
Es war bei unserer letzten Unterredung, daß Albert Ballin so zu mir
sprach, mit dem ich während zwei Jahrzehnten oft Gedanken ausgetauscht,
viel erlebt hatte. Wenige Menschen sind mir so sympathisch gewesen, für
Ballin bei
Bülow