DEUTSCHLAND WIRD KAPITULIEREN 287
Befürchtungen sich erfüllen würden, die mich seitneun Jahren beherrschten,
die Ahnung, daß der Tag gekommen sei, da die heilige Ilios hinsinkt. Ich
kannte unsere Gegner, die Rachsucht, die Machtgier, die sadistische
Grausamkeit der Franzosen, französischer Generäle und französischer
Advokaten, die kalte Härte der Engländer. Die im Laufe der letzten Wochen
aus Washington ergangenen Kundgebungen ließen mich klar erkennen, daß
Präsident Wilson den europäischen Verhältnissen und Verwicklungen mit
der Naivität und Leichtgläubigkeit des ahnungslosen Huronen in Voltaires
unsterblichem „Ingenu“ gegenüberstehen würde. Ich kannte den deut-
schen Parteigeist, die Kleinlichkeit und Selbstsucht, die Erbärmlichkeit
unserer Fraktionen, die geringe politische Einsicht des Durchschnitts-
deutschen, die Schwäche des deutschen Natiunalgefühls zu wohl, um an den
Widerstand zu glauben, den ein Teil der demokratischen deutschen Presse
für den Tag in Aussicht stellte, wo die deutsche Demokratie die Zügel
ergreifen würde.
Unter dem Eindruck des Augenblicks schrieb ich am 7. Oktober Herrn
Heckscher einen langen Brief, bei dessen nachfolgender Wiedergabe ich
manches fortlasse, was sich auf die Kritik der deutschen Politik während
der letzten Jahre bezog, so berechtigt diese Kritik an und für sich auch war.
„Seit vorgestern liegt auf meinem Schreibtisch Ihr Brief, der mir die
erschütternde Nachricht brachte, daß Deutschland kapitulieren werde. Sie
kennen mich zu gut, als daß ich Ihnen die Gefühle zu schildern brauche, die
diese Nachricht in mir hervorgerufen hat. Wollte Gott, daß ich diesen Tag
nicht erlebt hätte und abberufen worden wäre, als Deutschland noch seine
große Stellung in der Welt behauptete. Als mir im Juli dieses Jahres von
informierter Seite gesagt wurde, die Oberste Heeresleitung wünsche die
Herbeiführung des Friedens, entgegnete ich, daß in diesem Falle alles darauf
ankäme, mit diplomatischer Geschicklichkeit eine Verständigung zu
erreichen, solange unsere militärische Lage nach außen noch
aussichtsvoll erscheine. Was ist inzwischen in dieser Richtung ge-
schehen ? Oberste Regierungsstellen haben eine Reihe sich untereinander
widersprechender Reden gehalten, und wenn diplomatische Schritte und
Sondierungen erfolgten, so blieben sie im Sande stecken. Warum hat man
unser Volk nicht rechtzeitig auf den in Bulgarien bevorstehenden Erd-
rutsch vorbereitet und so der durch dieses Ereignis beförderten Panik
vorgebeugt? Vor Wochen und Wochen habe ich gehört, König Ferdinand
ergehe sich in Redewendungen, die mindestens darauf hindeuten, daß er
sich schwerlich auf dem Thron werde halten können, wenn er am Bündnis
mit uns festhalte. Wer einigermaßen im Orient Bescheid wußte, konnte
nicht in Zweifel darüber sein, daß schon der Rücktritt von Radoslawow
und seine Ersetzung durch Malinow ein ernstes Warnungszeichen war. Was
Antwort
Bülows