Der Kaiser
in Ilolland
298 AMERONGEN
Schilderung der dem Hausherrn nahe verwandten Lady Norah Bentinck,
die bei dem Eintreffen Seiner Majestät bei ihren Verwandten auf Schloß
Amerongen weilte und nachstehende Darstellung gibt: „Während der Fahrt
durch den strömenden Regen nach Amerongen sprach der Kaiser fast nichts.
Es war leicht zu schen, daß er von der plötzlichen Katastrophe noch bis zur
Verständnislosigkeit betäubt war, dazu ermüdet von den vierzig Stunden
Flucht, Reise, Warten. Er wünschte sichtlich sehr, bald an einem ruhigen
Platz zu sich selbst kommen zu können. Erst als der Wagen hinter der
Brücke über den inneren Wallgraben das Hauptportal erreichte, seufzte
der Kaiser auf. Es war merklich ein Seufzer tiefer Entspannung. ‚Jetzt‘,
sagte er zum Grafen Godard, seine Hände reibend, ‚jetzt müssen Sie mir
eine Tasse heißen, guten, echten, englischen Tee geben lassen.‘ Der Graf
versprach lächelnd, sich sogleich darum zu bekümmern. Und dann bekam
der Kaiser den gewünschten Tee. Es war freilich weniger ein englischer Tee
als ein richtiger schottischer ‚high tea‘. Zu den größten Schätzen Amerongens
gehört eine schottische Haushälterin, eine Meisterin in der Herstellung der
schottischen Biskuits, Pfannkuchen, Hörnchen und anderer Leckerbissen,
an denen jeder Reisende im Hochland sich irgendeinmal delektiert hat. Der
Kaiser hat sich mit der Kunst dieser Haushälterin sehr schnell angefreundet.““
Wer Kaiser Wilhelm II. gekannt hat, wird nicht im Zweifel darüber sein,
daß diese Schilderung einer Augenzeugin der Wirklichkeit entspricht. Er,
der vom Tag der Entlassung Bismarcks an sich nur zu oft übermütigen
Stimmungen überließ, hat, als schwere und böse Zeiten kamen, leider
versagt. Er hatte „Oberster Kriegsherr“ sein wollen und dies in Friedens-
zeiten oft, zu oft, betont. Im Kriege beschränkte er sich auf Zusehen, war
selten an der Front, noch seltener in der Hauptstadt, desto mehr aber in
prunkvollen Schlössern wie Pleß, Homburg und Koblenz. Er, der im Frieden
sich in den Vordergrund der Ereignisse drängte, wich während des Krieges
allen Entscheidungen aus. Er war nicht einmal imstande, die Harmonie
zwischen der obersten Heeresleitung und der politischen Leitung aufrecht-
zuerhalten. Er hatte alles selbst bestimmen und entscheiden, hatte seine
obersten Ratgeber nur nach seiner persönlichen Neigung aussuchen wollen,
aber er war auch in dieser Beziehung wenig glücklich gewesen. Moltke,
Bethmann, Michaelis, Hertling, Prinz Max von Baden waren schlimme
Feblgriffe gewesen, Fehlgriffe, die, jeder in seiner Art, die Katastrophe von
1918 vorbereitet haben. Wilhelm II. hatte sich für ein Instrument des
Himmels, für den Herrscher erklärt, der Deutschland herrlichen Tagen
entgegenführen werde, und er endigte mit der Flucht nach dem Ausland.
Noch ein zweites Dokument liegt aus diesen Tagen vor, aus dem
Wilhelm II. zu uns spricht. Der Brief, den er im Augenblick seiner Flucht
nach Holland an seinen Sohn, den Kronprinzen, richtete: „Lieber Junge!