Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Wilhelm II. 
und Bülow 
Die Regierung 
des Prinzen 
von Baden 
300 SANDBÄNKE UND RIFFE 
Groener jenes, der Legationsrat Grünau ein Drittes. Er darf noch weniger 
versuchen, sich durch die große Gestalt des Generalfeldmarschalls Hinden- 
burg zu decken. Ob er fliehen sollte oder nicht, konnte nur der Kaiser selbst 
entscheiden. Die Verantwortung für die Flucht nach Holland waschen, 
um mit Lady Macbeth zu reden, alle Wohlgerüche Arabiens nicht von 
Wilhelm II. ab. 
Ich habe, wie mancher andere, mit Kaiser Wilhelm II. drei Stadien 
durchgemacht. Ein erstes Stadium lebhaftester Sympathie, ja der Be- 
wunderung. Wenn ich diesen in mehr als einer Richtung reich, glänzend 
begabten, in hohem Grade aufnahmefähigen, von den edelsten Absichten 
erfüllten, vorurteilslosen, dabei immer so natürlichen Kaiser mit anderen 
deutschen und nichtdeutschen Fürsten verglich, und nicht allein mit 
anderen Fürsten, sondern auch mit meinen Ministerkollegen, mit Abgeord- 
neten, mit meinen zahllosen Bekannten, so erschien er mir als ein Fürst, 
der trotz mancher gefährlichen Eigenschaften und Anlagen Großes ver- 
sprach. Aber die bedenklichen Qualitäten traten bei längerem Verkehr und 
näherer Beobachtung immer deutlicher hervor. Es zeigte sich, daß die Viel- 
seitigkeit oft zur Zersplitterung, die Leichtigkeit der Auffassung zur Ober- 
Nlächlichkeit, die Natürlichkeit zu Taktlosigkeit, bisweilen zu Hemmungs- 
losigkeit führten. Immer mehr zeigten sich, wie bei Flut Sandbänke und 
Riffe, die Hauptfehler des Kaisers: seine allzu große Eitelkeit, seine naive 
Selbstsucht, sein Mangel an Augenmaß, sein Mangel an Aufrichtigkeit 
sich selbst und anderen gegenüber. „Der Kaiser macht anderen viel 
vor, aber am meisten belügt er sich selbst‘, sagte mir einmal der Feld- 
marschall Graf Waldersee. Waldersee gehörte wie Tirpitz zu den 
vielen, die nach und nach dem Kaiser gegenüber in eine verbitterte Stim- 
mung gerieten, die ihn schließlich haßten. Ich selbst habe gegenüber 
Wilhelm II., in dem ich stets den Sohn seines Vaters, den Enkel seines 
Großvaters, den Träger der preußischen Krone und der deutschen Kaiser- 
krone sah, Bitterkeit immer bald überwunden. Ich habe ihn nie gehaßt und 
schließlich nur tiefes, aufrichtiges, herzliches Mitleid für ihn empfunden, 
Mitleid für ihn, dessen glanzvoll begonnener Regierung ein jammervolles 
Ende beschieden war. Aber stärker als solches Mitleid ist das Leid, das ich 
trage um das glorreiche Preußen, dessen Vergangenheit, dessen Geist 
Wilhelm II. untreu wurde, um das unter Wilhelm I. von Bismarck errich- 
tete herrliche Reich, das mit Wilhelm II. gescheitert ist. 
Schon vor dem 9. November, dem schwarzen Tag der deutschen Ge- 
schichte, hörte ich, daß die Unzulänglichkeit des Prinzen Max von Baden 
in bedauerlicher Weise hervortrete. Selbst körperlich sei er seiner Aufgabe 
nicht gewachsen. Das Reichsschiff in solchem Sturm zu steuern, war aller- 
dings schwieriger als die Fürsorge für die Internierten, sehr viel schwieriger,
	        
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