XXUL KAPITEL
Sieg der Revolution in Berlin + Abreise des Prinzen Max nach Baden + Die Spartakus-
Unruhen - Ebert und Noske » Erlebnisse im Hotel Adlon » Gräfin Treuberg, Dr. Stampfer,
Dr. Breitscheid « Rückkehr der Truppen von der Front » Die Waffenstillstands-Verhand-
lungen in Compitgne, Erzbergerse Geschäftsbehandlung als Vorsitzender der Wa-Ko.
Der Diktat- und Schandfriede von Versailles »- Die deutsche Akten-Publikation
m 9. November erlebte ich in Berlin den Ausbruch der Revolution.
Ach, sie zeigte sich nicht als die herrliche Göttin, die Ferdinand Lassalle
in seinen ehrgeizigen Träumen sah, mit wehendem Lockenhaar, eherne
Sandalen an den Füßen. Sie glich mehr einer alten Vettel mit kablem Kopf,
triefenden Augen und zahnlosem Mund, schiefgetretenen Pantoffeln an den
plumpen Füßen. Die deutsche Revolution war durch und durch spieß-
bürgerlich, es fehlte ihr jede Wärme, jedes Feuer, sie war ganz vulgär.
Sie freute sich nicht am Schein, sie achtete nicht den Schwung. Sie brachte
keinen Danton hervor, wie er auf dem Pariser Boulevard in Erz gebildet
steht, mit geballter Faust, neben dem Sockel links ein Sansculotte mit ge-
fälltem Bajonett, rechts ein Tambour, der für die Levee en masse die
Sturmtrommel schlägt. Sie brachte keinen Gambetta hervor, der den Krieg
a outrance proklamiert und Widerstand und Krieg um fünf Monate ver-
längert, nicht einmal einen Delescluse, der freiwillig auf der Barrikade fällt.
Ich habe in meinem Leben nichts Roheres und dabei Gemeineres gesehen
als die Leiterwagen und Tanke, die, angefüllt mit betrunkenen Matrosen
und aus den Ersatzbataillonen desertierten Soldaten, am 9. November
durch die Berliner Straßen zogen. Ich hatte an jenem Nachmittag von
meinem Eckfenster im Hotel Adlon einen weiten Überblick über den
Pariser Platz und über die Linden. Ich habe nie etwas Ekelhafteres, etwas
Empörenderes und dabei Feigeres gesehen als die halbwüchsigen Burschen,
die, geziert mit den roten Schleifen der Sozialdemokratie, sich von hinten
zu mehreren an Offiziere heranschlichen, an Offiziere, die das Eiserne Kreuz
und den Pour le m£rite trugen, sie an den Ellbogen packten, um sie wehrlos
zu machen, und ihnen dann die Achselstücke abrissen. Als der junge Haupt-
mann Bonaparte am 10. August 1792 dem Sturm auf die Tuilerien zusah,
sagte er bekanntlich: „Avec un bataillon on balayerait toute cette
canaille.““ Es unterliegt keinem Zweifel, daß am 9. November 1918 in Berlin
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Der
9. November
in Berlin