Ebert Reichs-
kanzler
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mit einigen Sturm- und Kampfbataillonen dasselbe möglich war. Solche
Bataillone hätten sich aus den in Berlin befindlichen Offizieren und Unter-
olfizieren, unter denen man auf eine solche Order mit Ungeduld wartete,
leicht bilden lassen. Wenn gleichzeitig Maschinengewehre am Branden-
burger Tor, auf dem Schloßplatz und auf dem Alexanderplatz aufgestellt
wurden und einige Tanks mit Scharfschützen die Stadt durchfuhren, wäre
die Berliner Kanaille rasch auseinandergestoben. Nur mußte natürlich nicht
nur die Erlaubnis, sondern der ausdrückliche Befehl zum Scharfschießen
gegeben werden, wozu sich der Prinz Max nicht aufraffen konnte, nicht
zuletzt aus der Besorgnis, sich dadurch in seinem Heimatland als Thron-
fulger unmöglich zu machen.
Während der Pöbel sich der Herrschaft über die Berliner Straßen be-
mächtigte, war längere Zeit zwischen Berlin und Spa hin und her tele-
phoniert worden. In Berlin stand der Geheimrat Wahnschaffe, in Spa der
Legationsrat von Grünau am Apparat. Wahnschaffe, ein an sich tüchtiger
Beamter, hatte unter dem enervierenden Einfluß des Prinzen Max völlig
den Kopf verloren. Grünau hatte überhaupt keinen Kopf zu verlieren. Er
war ein junger Diplomat ohne jede politische Erfahrung noch Schulung,
gänzlich unvertraut mit den staatsrechtlichen Problemen, die zur Ent-
scheidung standen. Der morganatischen Ehe eines Prinzen von Löwenstein
mit einer Gouvernante entsprossen, stand er zum Karlsruher Hof in näheren
Beziehungen und war deshalb vom Prinzen Max als Mann seines Vertrauens
dem Kaiser nach Spa beigegeben worden. Es war ein tragisches Verhängnis,
daß dem König von Preußen in der ernstesten Stunde der preußischen Mon-
archie als einziger politischer Berater ein junger Mann zur Seite stand, der
sich zu allem eignen mochte, nur nicht zum Eckart der glorreichen, hart
bedrängten preußischen Krone. Als Ergebnis der aufgeregten Telephonate
zwischen Grünau und Wahnschaffe ließ Prinz Max an den Plakatsäulen
und Straßenecken Berlins eine amtliche Mitteilung anschlagen, die der
Bevölkerung der Hauptstadt die Abdankung des Kaisers und Königs
verkündete, obwohl, wie später festgestellt wurde, Wilhelm II. nur
auf die kaiserliche Würde, nicht aber auf die preußische Krone hatte
Verzicht leisten wollen. Das war Entstellung oder hysterische Kopf-
losigkeit. Es entsprach dieser jammervollen Geistesverfassung des letzten
vom Kaiser ernannten Reichskanzlers, daß Prinz Max, ohne Rücksprache
mit seinen Kollegen oder mit den militärischen Instanzen zu nehmen,
die seit vierundzwanzig Stunden auf den Befehl zum Eingreifen warteten,
brieflich dem Vorsitzenden der sozialdemokratischen Fraktion, Herrn
Fritz Ebert, die Geschäfte des Deutschen Reichs übertrug und es der
sozialdemokratischen Partei überließ, die Neuordnung der Dinge in die
Hand zu nehmen.