Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Erzberger ın 
Compiegne 
314 DER WAFFENSTILLSTAND 
Sohn des Panegyrikers der Hohenzollern bei mir, um mir das Bedauern 
seines Vaters auszudrücken, daß er mich nicht besuchen könne. Er müsse 
vorerst in seiner Eigenschaft als Generaldirektor der nun nicht mehr könig- 
lichen, sondern Staats-Bibliothek seinen beiden neuen Chefs, Ihren Exzel- 
lenzen Herrn Konrad Haenisch und Herrn Adolf Hoffmann, seine Auf- 
wartung machen. „Papa“, fügte der junge Mann crläuternd hinzu, „stellt 
sich auf den Boden der Tatsachen, und ich selbst bin zu den Sozialdemo- 
kraten gegangen.“ Mit dem früher zur Schau getragenen Royalisınus 
hat übrigens Professor Adolph Harnack nicht gleichzeitig die Exzellenz 
abgelegt, die er der Gnade Seiner Majestät verdankte. 
Die Geburtsstunde der deutschen Republik fällt zeitlich zusammen mit 
dem Waffenstillstand von Compi®gne, der am 11. November 1918 ge- 
schlossen wurde, der die ersten Ketten der Bedrückung um uns legte und 
der dem Schandfrieden von Versailles den Weg bereitet hat. Erzberger, der 
im Kreise der neuen Machthaber als ein Mann galt, der auf Grund der viel- 
fachen Auslandsreisen, die er während des Krieges als Geschäftsführer 
und ohne Auftrag unternommen hatte, Erfahrung in auswärtiger Politik 
besäße, war nach Compitgne mit der Wahnidce gefahren, dort im Anschluß 
an den militärischen Teil der Verhandlungen über einen Präliminarfrieden 
verhandeln zu können. Er hatte die Idee des Präliminarfriedens wie die des 
Völkerbundes auch literarisch propagiert. Er war überzeugt, seine im Aus- 
land kaum beachteten Broschüren müßten der Gegenseite die Augen dar- 
über öffnen, was ihr fromme. Ein entmilitarisiertes, demokratisches, 
republikanisches Deutschland war nach seinem und seiner Kollegen und 
Freunde Glauben ein allen willkommenes Mitglied des Völkerbundes, war 
allseitiger Sympathien und allgemeiner Hilfe zum Wiederaufbau sicher. 
Sein naiver Optimismus, seine vollständige Unkenntnis der Verhältnisse 
des Auslandes und der Mentalität unserer Feinde sahen sich grausam ent- 
täuscht. Der Marschall Foch eröffnete die Verhandlungen, indem er dem 
deutschen Unterhändler durch einen Generalstabsoffizier ein umfang- 
reiches Konvolut in doppelter Ausfertigung übergeben ließ, auf das Herr 
Erzberger sich bis abends sechs Uhr zu äußern hätte. Die Stunden waren 
kärglich bemessen, selbst für einen Unterhändler, der des Französischen 
vollkommen mächtig und daher imstande gewesen wäre, den Text für sich 
zu lesen und dann mit seinen Herren zu besprechen. In diesem Punkte 
fehlte es leider bei dem armen Matthias Erzberger an aller und jeder Grund- 
lage. Er, der kein Wort Französisch verstand, der nicht imstande war, ein 
kurzes Entrefilet des „Temps“ zu lesen, stand völlig ratlos vor diesen kom- 
plizierten Texten. Das gesamte Material ist später veröffentlicht worden, 
und es ist ein erschütternder Gedanke, daß in jenen Unglückstagen ein 
Mann sich zu den Propositionen der Entente zu äußern hatte, der erst die
	        
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