Dus Friedens-
diktat
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verhandlungen zu betreuen. Für den geschäftigen und eitlen Matthias, der
sich im Geiste schon in Paris als Mittelpunkt des Weltinteresses geschen
hatte, war dies ein harter Schlag. Er verlor aber nicht den Mut. Konnte er
nicht in Versailles sein Licht leuchten lassen, so war er dafür in Berlin und
Weimar um so eifriger bemüht, Brockdorff-Rantzau Schwierigkeiten zu be-
reiten. Er unterließ nichts, was die Entente in der Überzeugung bestärken
konnte, die von ihm geführte Reichstagsmehrheit werde letzten Endes
jeden Frieden schlucken. Ich bestreite nicht, daß Erzberger in seiner politi-
schen Unzulänglichkeit sich einbildete, durch Zutraulichkeit und Folgsam-
keit unsere Lage zu verbessern. Ich bestreite auch nicht, daß er seine These,
kein momentanes Opfer sei zu groß, wenn wir uns die Einheit der Nation
erhielten, mit Energie verfochten hat. Er hat aber durch den Eifer, mit
dem er seine Ideen propagierte, der deutschen Sache schweren Schaden zu-
gefügt, da die Entente in Weimar in Gestalt von Journalisten und Agenten
genügende Kanäle besaß, um über die jeweilige Tagesmeinung des „grand
Mathieu“ auf dem laufenden zu bleiben.
Als Graf Brockdorff-Rantzau, was ihm zur Ehre gereicht, sich weigerte,
den Frieden zu unterzeichnen, und zurücktrat, sorgte Herr Erzberger für
Ersatz, indem er die Ernennung Hermann Müllers (Franken) durchsetzte,
der gemeinsam mit dem Zentrumsabgeordneten Bell die Rolle des Unter-
zeichners auf sich nahm. Niemals ist einem Volke ein gleich vernichtender,
ein so schimpflicher T'riede mit größerer Brutalität aufgezwungen worden
wie dem deutschen Volke der Schandfriede von Versailles. Bei allen
Kriegen der letzten Jahrhunderte waren dem Friedensschluß Verhand-
lungen zwischen dem Sieger und dem Besiegten vorausgegangen. Nach dem
Dreißigjährigen Kriege wurde drei Jahre lang in Münster und Osnabrück
verhandelt, bis der Westfälische Friede zustande kam. Nach dem Sieben-
jährigen Kriege gingen dem Frieden von Hubertusburg geheime Verhand-
lungen zwischen Maria Theresia und dem großen König Friedrich voraus.
Napoleon hat nach seinen größten Siegen und durchschlagendsten Erfolgen
in Campoformio, in Luneville, in Amiens, in Preßburg, in Wien unter-
handelt.
Als der große Korse gestürzt worden war, schuf in dreivierteljähriger
Tätigkeit der Wiener Kongreß die Grundlagen für das neue Europa.
Auf den Krimkrieg folgte der Pariser, auf den Russisch-Türkischen Krieg
von 1877/78 der Berliner Kongreß. Fürst Bismarck hat, wie nach dem
böhmischen Feldzug mit den österreichischen und süddeutschen Ab-
gesandten, so auch nach dem siegreichen Kriege gegen Frankreich mit
Jules Favre, mit Thiers in Versailles und in Frankfurt am Main verhandelt,
lange, eingehend und höflich verhandelt. Nach dem Spanisch-Amerika-
nischen, nach dem Russisch- Japanischen Krieg wurde verhandelt. Ein