Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Dus Friedens- 
diktat 
316 VERSAILLES 
verhandlungen zu betreuen. Für den geschäftigen und eitlen Matthias, der 
sich im Geiste schon in Paris als Mittelpunkt des Weltinteresses geschen 
hatte, war dies ein harter Schlag. Er verlor aber nicht den Mut. Konnte er 
nicht in Versailles sein Licht leuchten lassen, so war er dafür in Berlin und 
Weimar um so eifriger bemüht, Brockdorff-Rantzau Schwierigkeiten zu be- 
reiten. Er unterließ nichts, was die Entente in der Überzeugung bestärken 
konnte, die von ihm geführte Reichstagsmehrheit werde letzten Endes 
jeden Frieden schlucken. Ich bestreite nicht, daß Erzberger in seiner politi- 
schen Unzulänglichkeit sich einbildete, durch Zutraulichkeit und Folgsam- 
keit unsere Lage zu verbessern. Ich bestreite auch nicht, daß er seine These, 
kein momentanes Opfer sei zu groß, wenn wir uns die Einheit der Nation 
erhielten, mit Energie verfochten hat. Er hat aber durch den Eifer, mit 
dem er seine Ideen propagierte, der deutschen Sache schweren Schaden zu- 
gefügt, da die Entente in Weimar in Gestalt von Journalisten und Agenten 
genügende Kanäle besaß, um über die jeweilige Tagesmeinung des „grand 
Mathieu“ auf dem laufenden zu bleiben. 
Als Graf Brockdorff-Rantzau, was ihm zur Ehre gereicht, sich weigerte, 
den Frieden zu unterzeichnen, und zurücktrat, sorgte Herr Erzberger für 
Ersatz, indem er die Ernennung Hermann Müllers (Franken) durchsetzte, 
der gemeinsam mit dem Zentrumsabgeordneten Bell die Rolle des Unter- 
zeichners auf sich nahm. Niemals ist einem Volke ein gleich vernichtender, 
ein so schimpflicher T'riede mit größerer Brutalität aufgezwungen worden 
wie dem deutschen Volke der Schandfriede von Versailles. Bei allen 
Kriegen der letzten Jahrhunderte waren dem Friedensschluß Verhand- 
lungen zwischen dem Sieger und dem Besiegten vorausgegangen. Nach dem 
Dreißigjährigen Kriege wurde drei Jahre lang in Münster und Osnabrück 
verhandelt, bis der Westfälische Friede zustande kam. Nach dem Sieben- 
jährigen Kriege gingen dem Frieden von Hubertusburg geheime Verhand- 
lungen zwischen Maria Theresia und dem großen König Friedrich voraus. 
Napoleon hat nach seinen größten Siegen und durchschlagendsten Erfolgen 
in Campoformio, in Luneville, in Amiens, in Preßburg, in Wien unter- 
handelt. 
Als der große Korse gestürzt worden war, schuf in dreivierteljähriger 
Tätigkeit der Wiener Kongreß die Grundlagen für das neue Europa. 
Auf den Krimkrieg folgte der Pariser, auf den Russisch-Türkischen Krieg 
von 1877/78 der Berliner Kongreß. Fürst Bismarck hat, wie nach dem 
böhmischen Feldzug mit den österreichischen und süddeutschen Ab- 
gesandten, so auch nach dem siegreichen Kriege gegen Frankreich mit 
Jules Favre, mit Thiers in Versailles und in Frankfurt am Main verhandelt, 
lange, eingehend und höflich verhandelt. Nach dem Spanisch-Amerika- 
nischen, nach dem Russisch- Japanischen Krieg wurde verhandelt. Ein
	        
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