Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

318 DIE AKTEN-PUBLIKATION 
frage durch eine Akten-Publikation zu fördern, die alle politischen Schrift- 
stücke des Auswärtigen Amtes von der Gründung des Reichs bis zum 
Ausbruch des Weltkrieges umfassen soll und die jetzt ihrem Ende entgegen- 
zugehen scheint. Ausgenommen die russischen Bolschewisten, denen es nur 
darauf ankam, die alte politische und soziale Weltordnung zugunsten der 
von ihnen angestrebten kommunistischen Weltherrschaft zu diskreditieren, 
hat keine andere Großmacht je daran gedacht, ihre Archive zu öffnen. War 
diese mit so rührendem Eifer vorgenommene deutsche Publikation richtig? 
Genützt hat sie uns jedenfalls nicht. Der Haß der Franzosen gegen uns, der 
um so größer ist, je mehr sie unsere latente Kraft fürchten, die kalte, nur 
durch die Rücksicht auf das eigene Wohlbefinden inspirierte politische 
Selbstsucht Englands, die traditionelle und unüberwindliche Feindschaft 
der Polen gegen deutsches Wesen und deutsche Macht sind dadurch nicht 
entwaflnet worden. Die Indiskretion, mit der bei dieser Akten-Publikation 
vertrauliche Äußerungen fremder Diplomaten und Minister der Öllentlich- 
keit preisgegeben wurden, die Unvorsichtigkeit, mit der in unseren Akten 
enthaltene krıtische Äußerungen über ausländische Institutionen, Sitten 
und Notabilitäten in die Öffentlichkeit geworfen wurden, wird alle fremden 
Diplomaten und Staatsmänner veranlassen, sich künftig in ihren Ge- 
sprächen mit deutschen Vertretern der äußersten Vorsicht zu belleißigen. 
Jeder diplomatische Verkehr beruht, wie Bismarck uns oft eingeschärft hat, 
auf Vertrauen zur Diskretion des andern. Wo dieses Vertrauen fehlt, ist ein 
solcher Verkehr von vornherein unfruchtbar. 
Gewiß bestätigt die Akten-Publikation die Tatsache, daß Fürst Bismarck 
und alle seine Nachfolger seit dem Frankfurter Frieden unentwegt und 
ehrlich den Frieden gewollt haben. Es wird ihnen das aber von unseren 
Feinden in keiner Weise als Verdienst angerechnet. Die Franzosen haben 
eine gute Bezeichnung für den Spieler, der, wenn er gewonnen hat, sich 
erhebt und nicht weiterspielt. Sie nennen das: Faire Charlemagne. Das will 
ungefähr dasselbe sagen wie die volkstümliche Berliner Redewendung: 
Kalte Füße kriegen. Daß wir unsere gewaltigen Gewinne von 1864, 1866 
und 1870/71 nicht wieder aufs Spiel setzen wollten, fand jedermann im 
Ausland klug und vom deutschen Standpunkt aus durchaus begreiflich 
und richtig. Aber niemand sah darin einen Beweis besonderer Tugend. Man 
interessiert sich in der Welt überhaupt nicht besonders für unsere Politik 
vor 1914. Aber man wünscht zu wissen, warum wir im unheilvollen Hoch- 
sommer 1914 so operiert haben, wie wir leider operierten. Die beiden 
politisch naivsten Menschen, die mir in meinem langen Leben vor- 
gekommen sind, waren, dies nebenbei gesagt, der Präsident des Alldeutschen 
Verbandes, Professor Ernst Hasse, und der Herausgeber der Diplomatischen 
Akten des Auswärtigen Amtes, Herr Dr. Friedrich Thimme. Ich habe
	        
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