Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Französische 
und deutsche 
National- 
versammlung 
322 WEIMAR UND BORDEAUX 
in Rechnung gestellt. Sie hatten nicht begriffen, daß unsere Bereitwilligkeit, 
immer und überall nachzugeben, die Dreistigkeit der einen, den syste- 
matischen Vernichtungswillen der anderen unserer Feinde nur verstärken 
konnte. Dieser Geist hat dazu beigetragen, daß dem deutschen Volk auch 
nach dem Friedensschluß immer wieder neue schwere und schmerzliche 
Opfer auferlegt wurden, daß Deutschland durch eine Leidenszeit hindurch- 
gehen mußte, wie sie ähnlich nie ein Volk erlebt hat und deren Höhepunkt 
der Ruhreinbruch von 1923 mit allen seinen in der Geschichte der Neuzeit 
unerhörten Greueln und Gewalttätigkeiten darstellt. Wenn der in Poincare 
und Foch verkörperte Vernichtungs- und Eroberungswille der Franzosen 
sich am zähen Widerstand und am treuen Durchhalten aller politischen 
und wirtschaftlichen Kreise des Ruhrgebietes und der Rheinlande gebrochen 
hat, wenn die Umtriebe des Separatisten-Gesindels nicht die von Paris 
angestrebte Absplitterung der Rheinlande vom Deutschen Reich fördern 
konnte, so gebührt das Verdienst daran dem gesunden Sinn der Bevölkerung, 
die ohne Unterschied der Partei, in unsäglichen Leiden, sich gegen den 
fremden Eindringling gewehrt und rohen, brutalen französischen Generälen 
vom Typus de Metz und Mangin die Durchführung ihrer Aufgabe unmöglich 
gemacht hat. Der Geist,in dem die Rheinlande und das Ruhrgebiet ihren 
Abwehrkampf gegen die fremde Besatzung geführt haben, ist nicht der 
Pseudogeist von Weimar. Es ist alte deutsche Sinnesart. 
Mit Neid blicke ich auf die Verhandlungen der französischen National- 
versammlung in Bordeaux, die im Frühjahr 1871 der Annahme des 
Frankfurter Friedensvertrages vorausgingen. In prächtigen Worten ver- 
kündete der größte Dichter Frankreichs, Victor lIugo, seinen unerschütter- 
lichen Glauben an die Zukunft seines Landes. „Ja, der Tag wird kommen“, 
rief er der Versammlung zu, „wo Frankreich sich wieder erheben wird. Mit 
einem gewaltigen Sprung wird es Straßburg und Metz wiedererobern. 
Nur diese beiden Städte? Nein, es wird seine Hand auf Köln und Mainz, 
Koblenz und Trier legen.“ Als ein Teil der Kammer den Dichter mit dem 
Ruf unterbrach, Frankreich fordere nur, was wirklich zu Frankreich gehöre, 
entgegnete Victor Hugo: „Warum setzen Sie meinem Patriotismus 
Schranken!“ Und als Thiers, der große Geschichtschreiber, große Staats- 
mann und große Patriot, während er die Friedensbedingungen verlas, in 
Tränen ausbrach, erhob sich die ganze Kammer und verneigte sich 
schweigend vor ihm. In dem wundervollen Schluß seiner Rede betonte 
Thiers wie Victor Hugo seinen unerschütterlichen Glauben an Frankreich, 
dessen große Vergangenheit, dessen Nationalstolz und Nationalgefühl, 
dessen feurige Vaterlandsliebe und dessen bewunderungswürdige innere 
Einheit, l’admirable unit de la France, ihm eine Wiederauferstehung 
sicherten. Seinen Namen unter diesen Vertrag setzen zu müssen, sei der
	        
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