Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

332 STRESEMANN UND HINDENBURG 
aufzuklären. Vernunft fängt wieder an zu sprechen und Hoffnung wieder 
an zu blülın. Die ernste, im Grunde ruhige und verständige Art des 
Deutschen gewinnt allmählich die Oberhand über den Strom, der anfangs 
die Dämme der Ordnung zu zerstören drohte. Die durch Sachkenntnis und 
Bildung unbeschwerten Typen, die in den ersten Jahren sich um die Macht 
stritten und sie mit wechselndem Glück in ihren Besitz brachten, sind ver- 
schwunden. Sie haben einer Kategorie von Männern Platz gemacht, die 
Kenntnisse mit Lebensernst verbinden und von denen mancher auch im 
alten Deutschland für einen Ministerposten wohl geeignet gewesen wäre. 
Ich nenne unter ihnen an erster Stelle Gustav Stresemann, der es 
verstanden hat, sich durch seine Führung der auswärtigen Politik unter den 
schwierigsten Verhältnissen Vertrauen im Ausland und die Achtung bis- 
heriger Feinde zu erwerben und damit für uns die Möglichkeit eines 
allmählichen Wiederaufstiegs. Seit der große Feldmarschall, der in 
Hunderten von Schlachten bewährte und ruhmvolle Führer der deutschen 
Heere, seit Hindenburg die Geschicke des Reiches in die Hand genommen 
hat, seit er den Glanz seines Namens, die Macht seiner Persönlichkeit für 
den Wiederaufbau des deutschen Volkes eingesetzt hat, begann sich das 
Ansehen Deutschlands im Auslande zu heben, hat der deutsche Name 
wieder langsam Beachtung finden können. 
Wenn ich im Frühjahr von Rom zur Niederelbe zurückkehre, an deren 
Ufer ich geboren bin, um den Sommer in Deutschland zu verleben, freue 
ich mich, feststellen zu können, daß es allmählich wieder besser geht. Ein 
dauernder und wirklicher Aufstieg ist für uns nur möglich, wenn wir endlich 
die deutschen Erbfehler ablegen, die Parteiverbissenheit, die doktrinäre 
Verstiegenheit, die Neigung zu Eigenbrötelei und zu Partikularismus, wenn 
wir zu der Gesinnung zurückkehren, die unsere Vorfahren groß gemacht hat. 
Es ist meine tiefe, meine innerste Überzeugung, daß auch für uns bessere 
Tage kommen werden, wenn unser Volk sich wieder mit nationalem Geist 
erfüllt. Es ist unmöglich, daß eine Nation von soruhmreicher Vergangenheit, 
ein Volk, das Fridericus Rex gesehen hat und die Erhebung von 1813, 
Blücher und Scharnhorst und den Reichsfreiherrn vom Stein und ein halbes 
Jahrhundert später Kaiser Wilhelm I. und Kaiser Friedrich, Bismarck, 
Roon und Moltke, Düppel, Sadowa und Sedan, ein Volk, das einen so 
heldenhaften Widerstand geleistet hat wie wir im Weltkrieg, ein Volk, aus 
dem Luther und Kant hervorgegangen sind, Schiller und Goethe und die 
Brüder Humboldt, Bach und Beethoven und Richard Wagner, Fichte und 
Hegel, Schopenhauer und Nietzsche, das der Welt soviel Unvergängliches 
geschenkt hat, das so große, schöne Eigenschaften besitzt, dauernd unter- 
drückt, dauernd im Hintergrund bleiben, dauernd Objekt derinternationalen 
Politik sein soll.
	        
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