GESANDTE 345
geleistet hatte, schrieb mir: ‚Sie wollen es verzeihlich finden und mir ge-
statten, daß ich als alter langgedienter Diplomat mich für kompetent halte,
mir über die äußere Politik ein Urteil zu bilden. Da finde ich dann nicht
Worte genug, um das tiefe und schmerzliche Bedauern auszusprechen,
welches ich bei der Nachricht von dem Rücktritt Eurer Durchlaucht von
Ihrem verantwortungsvollen Amt empfunden habe, der gerade in einer
Zeit erfolgt, in welcher es Eurer Durchlaucht gelungen war, das Prestige
des Deutschen Reichs in einer Weise zu heben, die ihren Ausdruck in dem
an Furcht grenzenden Respekt findet, welchen Deutschland seit Bismarcks
Zeiten zum erstenmal wieder den Weltmächten einflößt.‘“ Vom rechten
Tiberufer schrieb mein langjähriger ausgezeichneter Mitarbeiter, in der
Bismarckschen Zeit Dezernent im Auswärtigen Amt, später Unterstaats-
sekretär, jetzt preußischer Gesandter beim Vatikan, Herr von Mühlberg,
meiner Frau: „Ich weiß nicht, soll ich mich freuen oder soll ich traurig
sein. „Die Wollust der Kreatur ist gemischt mit Bitterkeit‘, singt Walter
von der Vogelweide, dessen freundliches Denkmal uns Deutsche auf dem
pittoresken Marktplatz in Bozen so heiter begrüßt. Freuen tue ich mich,
Sie in nicht allzu langer Zeit hier in Rom zu sehen. Allein diese etwas egoisti-
sche Freude ist doch recht ernstlich getrübt durch das tiefe Bedauern und
eine gewisse patriotische Beklemmung, die der Rücktritt des Fürsten in mir
nicht ruhen läßt. Diese Beunruhigung machte sich noch stärker fühlbar, als
ich heut morgen in den Zeitungen die Veränderungen und die Ernennungen
las, die das Scheiden des Fürsten zur Folge hatte. Was soll denn aus der
ganzen Sache werden, und wo steuern wir hin ? Durch sämtliche italienische
Zeitungen geht nur ein Schrei des Bedauerns. Auch der Papst sprach mir
heute morgen seine Enttäuschung und etwas Verwunderung aus. Korre-
spondenzen aus Deutschland, die mir zugegangen waren, hatten mir seit
Monaten keinen Zweifel mehr gelassen über die Minierarbeit gegen den
Fürsten. Muß ich das Ausscheiden des Fürsten für einen schweren Ver-
lust für unser gesamtes Vaterland und dessen Ansehen im Auslande halten,
so trifft es mich persönlich auch schwer. Denn ich weiß, daß ich oben einen
Freund verloren habe, dem ich vieles, wenn nicht alles in den letzten Jahren
meiner amtlichen Laufbahn zu verdanken habe, und ich bitte Sie, verehrte
Fürstin, dies Seiner Durchlaucht zu sagen.“
Der frühere sächsische Gesandte in Berlin, spätere sächsische Minister-
präsident, Graf Wilhelm Hohenthal, telegraphierte mir: „Ich beklage es
tief, daß Euer Durchlaucht gezwungen worden sind, Ihre kostbare Kraft
dem Dienste des Vaterlandes vorzeitig zu entziehen.‘ Die Gräfin Hohenthal
schrieb meiner Frau, indem sie auf das Schicksal meines größten Vorgängers
hinwies: „Sie persönlich sind vielleicht froh, den Fürsten von der auf-
reibenden Tätigkeit befreit zu wissen; wir andern hätten gewünscht, daß
Herr
v. Mühlberg
Graf
Hohenthal