Graf
Waldemar
Roon
Oertel
352 EIN RECUHTSKONSERVATIVER
Ihrer Abreise so vortrefflich für Ordnung gesorgt, daß es mir wie sehr
vielen andern nicht gelungen ist, Euer Durchlaucht auch nur zu sehen.
Euer Durchlaucht verlassen den ersten Platz im Reiche, betrauert von allen
Urteilsfähigen der Nation, aber unvergessen.““
Die aufdem Lehrter Bahnhof getroffenen Absr ßnah waren,
wie ich vertraulich hörte, auf direkte Weisung des Kaisers erfolgt, der zu
einem seiner Adjutanten äußerte: „Ministerwechsel haben sich im stillen
zu vollziehen, da sie wenig Bedeutung haben und das Publikum gar nichts
angehen.“
Meine früheren und langjährigen Anhänger konservativer Richtung
waren bemüht, die Schuld an dem zwischen uns eingetretenen Bruch von
sich ab und mir zuzuwälzen. Zu den störrischsten Führern der Konserva-
tiven gehörte Graf Waldemar Roon, der älteste Sohn des Kriegsministers
Albrecht von Roon. Dieser war einer der ausgezeichnetsten Männer ge-
wesen, die der preußische Staat hervorgebracht hat, ein Mann, der seinen
Namen mit unvergänglichen Lettern in die deutsche Geschichte eingetragen
hat. Albrecht von Roon war der ruhmvolle Waffenschmied für die Siege
von 1864, 1866, 1870. Der Sohn glich dem Vater in Lauterkeit der Gesin-
nung wie in fester, tiefer Vaterlandsliebe, aber er war unnachgiebiger und
er war nicht so begabt. Er warf mir vor, daß ich mich mit der ‚,‚so gänzlich
unzuverlässigen‘“ und in ihrer politischen Brauchbarkeit von mir über-
schätzten Nationalliberalen Partei zu tief eingelassen hätte. Ich hätte es wie
der pommersche Baucr gemacht, der dem guten Hund einen Knochen gab,
dem bösen aber zwei. Das heißt, ich hätte die Liberalen auf Kosten der
Konservativen bevorzugt. Ich war oft anderer Meinung als Waldemar
Roon, ernstlich böse sein konnte ich ihm nicht. Als der Weltkrieg ausbrach,
stellte er sechs Söhne ins Feld. Drei von ihnen besiegelten ihre Treue für
König und Vaterland mit dem Tod. Die Mutter, eine Blankenburg aus dem
bekannten pommerschen Hause, mit dem Bismarck von Jugend auf be-
freundet war und in dem er für sein Leben, insbesondere für seine religiösen
Anschauungen entscheidende Eindrücke empfing, starb an gebrochenem
Herzen. Roon selbst mußte noch das schreckliche Ende des Krieges er-
leben. Nicht lange vor seinem im März 1919 erfolgten Tode erhielt ich einen
Brief von ihm, der mit den Worten schloß: ‚Dies ist wohl das letzte Lebens-
zeichen, das Sie erhalten werden von Ihrem bis in den Tod betrübten alten
und treuen Freunde Waldemar Roon.“
Für Männer wie Graf Waldemar Roon habe ich trotz aller Meinungs-
verschiedenheiten über politische Taktik stets tiefe Achtung und warme
Sympathie empfunden. Sehr verschieden von Waldemar Roon war der
Leiter der agrarischen „Deutschen Tageszeitung“, der Reichstagsab-
geordnete Georg Oertel, der populärste von den Führern des Bundes der