Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

OERTEL — FRIEDRICH DERNBURG 353 
Landwirte. Er war berühmt durch seine schlagfertige Beredsamkeit wie 
durch seinen Humor, den er in seinen Reichstagsreden, in seinen Zeitungs- 
artikeln und auch im persönlichen Verkehr zeigte. Er war noch berühmter 
durch die immer von ihm getragene weiße Weste, die geradezu den Zeichen- 
stift der Karikaturisten herausforderte, zumal sie sich über einem außer- 
ordentlich dicken Bauch spannte. Oertel war ein Kur- und Ursachse und 
verbarg wie mancher seiner engeren Landsleute unter einer harmlos-gut- 
mütigen Außenseite nicht wenig Schlauheit. Er war mir ebenso wie Graf 
Roon persönlich treu ergeben. Es war ehrlich, wenn er mir schrieb, daß mein 
Ausscheiden aus dem Amt die schwerste und schmerzlichste Erfahrung 
seines politischen Lebens seit dem Rücktritt Bismarcks wäre. Aber er fand, 
daß ich in der Erbschaftssteuer an die Agrarier eine Zumutung gestellt 
hätte, die zu erfüllen sie aus sachlichen Gründen außerstande gewesen 
wären. Wenn ich diesen Standpunkt nicht gelten lassen konnte, so verkannte 
ich nicht die freundliche Gesinnung, in der Oertel mir schrieb, daß es eine 
der schönsten Erinnerungen seines Lebens sein würde, im persönlichen 
Verkehr mit mir gestanden zu haben, und daß er für das ihm von mir zuteil 
gewordene Wohlwollen immer treue Dankbarkeit bewahren würde. Das 
war keine leere Phrase. Ich bin Oertel öfter wieder begegnet, und unsere 
persönlichen Beziehungen blieben die besten. 
Es würde zu weit führen, die Briefe wiederzugeben, in denen ich die 
Ausführungen meiner konservativen Freunde eingehend widerlegte. Was 
ich selbst schrieb, war übrigens kaum so schlagend wie der Aufsatz, den ein 
freisinniger Publizist, ein Schriftsteller, der durch Geist und Weite des 
Gesichtskreises sich über die Schablone erhob, Friedrich Dernburg, 
der Vater des Kolonialsekretärs Bernhard Dernburg, zwei Jahre nach 
meinem Rücktritt, als ich schon von der Villa Malta auf die Siebenhügel- 
stadt blickte, im „Berliner Tageblatt‘ über den Ausgang meiner Reichs- 
kanzlertätigkeit veröffentlichte. Es hieß in diesem Artikel: „Wer die poli- 
tische Laufbahn des Fürsten Bülow unbefangen in das Auge faßt, der wird 
zugeben müssen: Der Staatsmann, der auf seinen Leichenstein geschrieben 
haben wollte: Hier liegt ein agrarischer Reichskanzler, war sich immer treu 
geblieben. Fürst Bülow wollte die Konservativen auf neue und haltbare 
Grundlagen stellen. Er wollte sie vor sich selbst retten. Er hat hierbei einen 
weit voraussehenden Blick, Kühnheit und Entschlossenheit zum Handeln 
gezeigt. Nie ist einem Staatsmann mit größerer Undankbarkeit gelohnt 
worden als dem Fürsten Bülow von seinen Standes- und Parteigenossen. 
An ihrer Kurzsichtigkeit und Eigensucht ist der Plan gescheitert, er ist 
nicht einmal verstanden worden, und man begreift die zornige Verachtung, 
mit der Fürst Bülow ihnen das Wort zuschleuderte, das seiner Einlösung 
entgegengeht: Bei Philippi sehen wir uns wieder. Dies Philippi ist im 
23 Bülow III 
Friedrich 
Dernburg
	        
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