Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

Dr. Mehnert 
Professor 
E. Francke 
354 MEHNERT 
Anzug. Die Konservative Partei hat in ihrem Verhalten beim Sturz des 
Fürsten Bülow aber auch den Beweis geliefert, wie das parlamentarische 
Treiben imstande ist, die Blicke in die Enge zu bannen, über die großen 
Züge einer politischen Lage wegzutäuschen, nach kleinen Vorteilen 
schnappen zu lassen und die Existenz zu riskieren.“ 
Der streng konservative Führer der sächsischen Konservativen und 
Präsident der Zweiten Sächsischen Kammer, Dr. Mehnert, schrieb: 
„Eure Durchlaucht wollen auch mir gestatten, daß ich am heutigen Tage 
meinem tiefsten und aufrichtigsten Bedauern Ausdruck gebe, daß Eure 
Durchlaucht von der Leitung der Geschäfte des Reichs zurücktreten. Es 
ist für mich ein unsagbar schmerzliches Gefühl, den hochverehrten Mann 
von der Stellung scheiden zu schen, in der er so unendlich viel und so wahr- 
haft Großes für des Reiches Ansehen, für des Reiches Wohl und Förderung 
getan hat. Es erscheint mir noch nicht möglich, mir vorstellen zu können, 
wie künftig die Geschicke unseres großen Vaterlandes sich entwickeln 
sollen. Die Person des Fürsten Bülow ist für mich zu sehr mit der Leitung 
der Geschäfte im Innern wie im Äußern verbunden und verkettet, als daß 
ich mir ohne dieselbe deren gedeihliche Fortsetzung denken könnte. Seit 
Bismarcks Zeiten hat niemand zur Hebung vaterländischer Gesinnung so 
viel getan und beigetragen wie Eure Durchlaucht — seit Bismarcks Zeiten 
hat den deutschen Namen niemand so hochgehoben in der Welt, niemand 
so achtunggebietend gefestigt wie Eure Durchlaucht — insonderheit zu- 
letzt noch durch die glänzende Aktion unserer auswärtigen Politik in 
diesem Frühjahr! Möchte ein gütiges Geschick es fügen, daß Eure Durch- 
laucht nicht für immer scheiden.“ 
Aus den Kreisen der Sozialreformer schrieb mir Professor Dr. E. 
Francke: „Im Namen vieler Freunde und Gesinnungsgenossen wollen 
Eure Durchlaucht einem Mann, der still und bescheiden versucht hat, seine 
Pflicht als nationaler und liberaler Publizist sowie als Sozialpolitiker zu 
tun, gestatten, seinem tiefsten Schmerz Ausdruck zu geben, daß jetzt ein 
Reichskanzler sein Amt verläßt, der zwölf Jahre hindurch der Wohlfahrt 
des Reichs mit ruhmvollem Erfolge gedient hat. Seit Jahrzehnten hat 
Deutschland vor der Welt nicht mit solchen Ehren und solcher Macht 
gestanden wie heute. Niemals hat unser Volk in Stadt und Land Zeiten 
stärkerer wirtschaftlicher Blüte gesehen. Der Liberalismus, die freie Ge- 
sinnung begannen neu zu hoffen, als Eure Durchlaucht den Druck der 
Zentrumspartei und der Sozialdemokratie brachen. Und wir Sozial- 
reformer wußten es und freuten uns dessen, daß der vierte Kanzler des 
Reichs ein Herz für die Armen und Bedrückten und eine bereite Hand für 
die Strebenden und Kämpfenden hatte. Mit Eurer Durchlaucht Scheiden 
vom Amt werden viele und teure Hoffnungen vernichtet.“
	        
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