FEHLPROPHEZEIUNGEN 25
Weltkrieges unter dem Pseudonym Rüdorffer ein „Grundzüge der Welt-
politik in der Gegenwart“ betiteltes Buch veröffentlichte, in dem er meine
Politik mit liebloser Schärfe kritisierte und auf ihrem dunklen Hintergrund
die raschen und glänzenden Erfolge meines Nachfolgers um so heller
erstrahlen ließ. Leider hatte er die Unvorsichtigkeit, gleichzeitig hinsicht-
lich der bald zu erhoffenden Folgen und Früchte der Bethmannschen
Tätigkeit sich in Prophezeiungen zu ergehen, die durch den Weltkrieg in
schauriger Weise zuschanden gemacht wurden. Nun wollte der Zufall, daß
Riezler im zweiten Jahre des Weltkrieges in einer Berliner Gesellschaft mit
einem Wiener Gast zusammentraf, der in einem allgemeinen Gespräch über
die Kriegs- und Vorkricgsliteratur die Bemerkung fallen ließ: in Berlin
habe die politische Literatur ausgezeichnete Werke hervorgebracht, aber
auch einige ganz verfehlte Bücher, und nun nannte er in diesem Zu-
sammenhang das Buch von Rüdorffer. Sein Nachbar gab ihm einen leisen
Stoß, dem er, als der Wiener noch einmal das Rüdorffersche Buch in Grund
und Boden verdammte, einen stärkeren Rippenstoß folgen ließ, indem er
auf den gegenübersitzenden Herrn Riezler hinwies, der sehr rot wurde.
Darauf der Österreicher: „Ja, was geht denn Herrn Riezler das alberne
Buch des Rüdorffer an?‘ Tableau! pflegt in solchen Fällen der Franzose
zu sagen. Im August 1917 bemerkte ein größeres rheinisches Blatt, die
„Düsseldorfer Zeitung“, bei einer Besprechung des Rüdorffer-Riezlerschen
Buches nicht übel: „Dieses Buch hat den eigenen Reiz, daß es die Ent-
wickelung der Weltpolitik diametral entgegengesetzt der wirklich ein-
getretenen voraussagte.““ Im Weltkriege spielte Riezler unter Bethmann
Hollweg, dessen vertrauter Mitarbeiter er bald wurde, eine wenig glückliche
Rolle und hat mit Hans Delbrück zu den Ratgebern gehört, die zur
Wiederherstellung von Polen trieben, dem größten pulitischen Fehler, der
seit Beginn des Krieges gemacht wurde. 1917 kursierte in Berlin das
nachstehende Gedicht:
Ein schöner Wahn schafft uns nicht Frieden,
Der Hohlweg sperrt den Blick zum Horizont.
Ihm ward durch einen Riez die Welt zu sehn beschieden,
Doch hinter diesem Riez war alles leer.
Wahnschaffe war ein sogenannter schöner Mann, Bethmann Hollweg
hatte uns in den Hohlweg des Krieges geführt, und Riezler war in der Tat
leer. Das Beste an ihm war seine niedliche Frau, eine Tochter des Malers
Liebermann. Natürlich ist Riezler nach dem Sturz des Kaisertums mit
ebenso behendem Fuße in das Schiff der Republik gesprungen, wie er sich
nach meinem Rücktritt von mir ab- und Bethmann zugewandt hatte.
Nach dem November-Umsturz drängte er sich dem Reichspräsidenten