38 ZU SCHIFF NACH NORDERNEY
in seiner Gewissenhaftigkeit das Bedürfnis, im Auswärtigen Amt anzu-
fragen, ob man dort damit einverstanden sei, daß er noch länger Seine
Majestät den König von Preußen beim badischen Hofe vertrete. Er glaube
übrigens versichern zu können, daß den badischen Herrschaften, und ins-
besondere der Frau Großherzogin Luise, sein Bleiben erwünscht sein würde.
Als dieser Brief bei Flotow, dem Personaldezernenten, eintraf, meldete er
mir, daß der Gesandte in Karlsruhe seinen Abschied erbeten hätte. Er,
Flotow, würde unaussprechlich glücklich sein, wenn er diesen Posten er-
halten könnte, dessen Klima, eine Mischung von Höhenluft und der milden
Wärme der Rheinebene, gerade für seine zarte Gesundheit zuträglich wäre.
Ich erwiderte, daß, wenn zu meinem Bedauern Eisendecher wirklich zu-
rücktreten wolle, ich mir vorerst die Frage der Nachfolge reiflich überlegen
müsse. Bald nachher traf Eisendecher in Privatangelegenheiten in Berlin
ein. Er wurde bei uns zu Tisch eingeladen, ich konnte aber nicht erscheinen,
da ich einen starken Grippeanfall hatte und von dem guten Renvers ins
Bett gesteckt worden war, um durch eine Schwitzkur möglichst rasch
wieder sprechfähig für den Reichstag zu werden. Als Eisendecher und seine
Gattin im Reichskanzlerpalais erschienen, fiel ihre traurige Miene meiner
Frau auf. Wie sich bald herausstellte, war die Betrübnis darauf zurück-
zuführen, daß Eisendecher von dem Personaldezernenten Flotow die tele-
graphische Benachrichtigung erhalten hatte, sein Abschiedsgesuch wäre
eingetroffen und in den Geschäftsgang geleitet worden. Als nun meine Frau
sogleich zu mir kam, um mich über diesen Sachverhalt aufzuklären, ließ
ich Eisendecher durch sie sagen, ich dächte nicht daran, seine Abberufung
bei Seiner Majestät zu beantragen, sondern freute mich, daß er seine nütz-
liche Wirksamkeit in Karlsruhe fortsetzen wolle. Meine Frau teilte dies dem
würdigen Herrn mit, zu dessen lebhafter Freude, aber zur großen Ent-
täuschung des gleichfalls zu Tisch geladenen Flotow, der ihr mit giftigem
Ausdruck zuflüsterte: „Das ist ein Todesstoß für mich.“ Er machte in der
kurzen Zeit, die ihm bis zu meinem endgültigen Rücktritt blieb, noch
einige krampfhafte Versuche, erst Kopenhagen, dann sogar das bescheidene
Oldenburg frei zu machen. Als auch das mißlang, verließ er Berlin.
Als ich wenige Tage vor meinem Abschied von Berlin ihn zu mir bitten
ließ, um noch einige dienstliche Angelegenheiten zu regeln, wurde mir die
Antwort, welche die Königin Elisabeth bei Schiller erhält, als sie dem
Grafen Kent den Befehl erteilt: „Graf Leicester komme her!“ Lord Kent
antwortet bekanntlich: „Der Lord läßt sich entschuldigen, er ist zu Schiff
nach Frankreich.“ Mir antwortete nur ein Kanzleidiener, der mir meldete,
daß Herr von Flotow bereits nach Norderney abgereist sei. Er wollte den
Berliner Abschiedsfeierlichkeiten für mich ausweichen. Als ich in Norderney
eintraf, war er nicht am Landungssteg zugegen, wo sich alle unsere