Rathenaus
Besuch bei
Bülow
42 RATHENAU UNTER DEN LINDEN
Mommsen eigen war, sondern die auch Bennigsen und Windthorst, Menzel
und Ulrich Wilamowitz-Möllendorf, Maybach und Budde, Schmoller und
Miquel, Lenbach und Liebermann, die Göben, Schlieffen und Hindenburg,
Walter Lo@ und Häseler so wohl anstand.
Als ich im Frühjahr 1922 von Rom in Berlin eingetroffen war, suchte
mich Rathenau, der inzwischen Reichsminister des Äußern geworden war,
im Hotel Bristol auf, und der Grund seines Kommens war ein Beweis für
sein feines Empfinden. Er hatte in der Zeit, wo er dem Reichskanzler Wirth
den Hof machte, in einer Rede oder in einem Zeitungsartikel der Ansicht
Ausdruck gegeben, daß dieser unter den letzten acht bis zehn Reichs-
kanzlern der weitaus bedeutendste sci. Maximilian Harden, einst der beste
Freund von Walter Rathenau, nach dessen Erhebung zum Minister sein
Gegner, richtete in der „Zukunft“ an Rathenau die maliziöse Frage, ob er
Josef Wirth, der während seiner kurzen Amtszeit noch gar nichts geleistet
habe, über den Fürsten Bülow stelle. Rathenau legte Gewicht darauf, mir
zu erklären, daß er eine so geschmacklose Äußerung nie gemacht habe.
Nachdem ich ihn lächelnd beruhigt hatte, entspann sich zwischen uns ein
langes, freundschaftliches Gespräch. Rathenau erinnerte mich daran, daß
er mir im Herbst 1914, aus dem damals von mir bewohnten Salon im Hotel
Adlon auf das Brandenburger Tor deutend, gesagt hatte: „Wenn durch
dieses stolze Tor ein als Mensch interessanter und sympathischer, zum
Regieren untauglicher Monarch wie Wilhelm II., rechts von sich einen total
unzulänglichen Kanzler wie Bethmann, links einen so leichtfertigen Chef des
Stabes wie Falkenhayn, einziehen sollte, so hätte die Weltgeschichte ihren
Sinn verloren.‘ Jetzt zeigte er aus dem Fenster des Hotel Bristol auf die
belebten Linden und meinte: „Wenn ich mich dort auf den Mittelweg der
Linden aufstelle und rufe: ‚Hoch die große alte Zeit, hoch Bismarck, hoch
Kaiser und Reich, hoch das alte glorreiche Preußen, hoch die alte Armee,
so werde ich vielleicht verhaftet, aber die Männer, von einigen Strolchen
abgesehen, blicken mit Rührung auf mich, und die Frauen werfen mir Kuß-
händchen zu. Wenn ich aber schreie: ‚Hoch die Republik‘, so lacht alles.
Die Republik hat bei uns in Deutschland etwas Spießbürgerliches, etwas
fast Ridiküles.‘“ Walter Rathenau besaß in hohem Grade jene Gabe geist-
voller und dabei gutmütiger Selbstironie, der ich öfters bei gebildeten
Israeliten begegnet bin. Als ich einmal mit ihm über den Chefredakteur
einer demokratischen, sehr verbreiteten Berliner Zeitung sprach, stimmte
er mir gern zu, als ich nicht nur dessen stilistische Begabung, sondern auch
seinen ehrenhaften Charakter rühmte. Als ich dabei meinem Bedauern
darüber Ausdruck gab, daß der betreffende Publizist im Banne seiner
Parteieinstellung oft allzu einseitig und dadurch monoton würde und so
zum Widerspruch reize, meinte Walter Rathenau: „Richtig! Wissen Sie,