„NIBELUNGENTREUE* 47
Herren manches Häßliche und Unwahre über mich gesagt haben. Er
mag auch schon früher mit Vertrauten über mich, den ihm oft unbequemen
Mentor, räsoniert haben. Aber erst nach unserer endgültigen Trennung
verlor er jede Haltung. Die Ranküne, die wegen der Novemberereignisse
immer wieder in ihm aufstieg und die im letzten Ende der Ärger darüber
war, daß ich ihn so klein gesehen hatte, machte sich endlich ganz Luft. Er
hatte den Professor Schiemann zur Teilnahme an der Nordlandreise von
1909 aufgefordert, vertraute ihm seine unwahre Version über die No-
vemberkrise an und legte ihm nahe, sie in die „Kreuz-Zeitung“ zu bringen,
deren Mitarbeiter Schiemann damals war. Ungefähr um dieselbe Zeit
drängte der Zeremonienmeister Röder den Abgeordneten Erzberger, in
seiner „Märkischen Volkszeitung“ in dasselbe Horn zu blasen. Erzberger
hat mir, als wir uns sechs Jahre später in Rom nähertraten, aus eigenem
Antrieb gestanden, und mit dem Ausdruck aufrichtigen Bedauerns, daß
Eugen Röder ihm — er drückte sich anders aus — gesagt habe, er könne sich
und seiner Partei beim Kaiser einen Stein ins Brett setzen, wenn er helfe,
„die Wahrheit“ über die Novemberereignisse zu verbreiten. So wurde der-
selbe Matthias Erzberger, den der Kaiser während der Sommer- und
Herbstmonate vor der Reichstagsauflösung von 1906 in vielen Marginalien
als „Lügenpeter“, „Molch‘“ und sogar als „Jesuit‘‘ bezeichnet hatte, als
Eideshelfer für Seine Majestät aufgerufen.
Bevor die Verleumdungen der „Kreuz-Zeitung‘ und der „Märkischen
Volkszeitung‘ mein ernstes und ehrliches Bestreben, die Unbesonnenheiten
und Verfehlungen des Trägers der Krone, die zu dem Novembersturm
geführt hatten, in Vergessenheit zu bringen, wieder zu vereiteln drohten,
erhielt ich einen Brief meines alten und treuen Freundes, des sächsischen
Oberhofmarschalls und Präsidenten der Ersten Sächsischen Kammer,
Grafen Friedrich Vitzthum, der ein bezeichnendes Schlaglicht auf die
Stimmung warf, in der sich der Kaiser seit seiner Trennung von mir befand.
Es hieß in diesem Brief vom 25. September 1909: „Heute muß ich Dir ganz
vertraulich über eine Unterredung berichten, die ich am 20. ds. in dem
alten historischen Kapellensaal der Albrechtsburg in Meißen mit dem Kaiser
hatte. Der sächsiche Minister Beck, ein eifriger Verehrer von Dir, der einige
Schritte davon stand und wohl ein paar Worte aufgeschnappt hatte,
klopfte mir, als die Unterredung vorüber war, auf die Schulter mit dem
freundlichen Worte: ‚Nibelungentreue.‘ Hoffentlich bist Du auch mit
meiner Haltung einverstanden, wenn meine Freundschaft für Dich mich
auch verleitete, vielleicht etwas weiter zu gehen, als unbedingt nötig war.
Ich hatte mich beim Empfang des Kaisers absichtlich zurückgehalten, und
erst als man sich zu Tisch setzte, bemerkte er mich, da ich ihm schräg-
gegenüber placiert war. Er begrüßte mich sogleich in seiner lebhaften Weise
Unterredung
Vitzthums mü
dem Kaiser