DIE KAISERLICHE LESART 57
aufrichtiger Verebrung Eurer Durchlaucht sehr ergebener Bethmann
Hollweg.“
Seiner Wesensart entsprechend trat Herr von Bethmann nur in sehr
ängstlicher Weise den gegen mich verbreiteten Verleumdungen entgegen,
aber der gute Wille, auf den nach Schopenhauer in der Moral alles an-
kommt, war wenigstens vorhanden. Herr von Schön drückte sich um jede
Stellungnahme. Er war völlig von dem Wunsche erfüllt und beherrscht,
den Posten des Staatssekretärs des Äußern, der nicht nur an seine Fähig-
keiten, sondern auch an seine Arbeitskraft allzu hohe Anforderungen stellte,
mit der von ihm und seiner Frau seit langem ambierten Botschaft in Paris
zu vertauschen. Da der damalige Botschafter in Paris, Fürst Radolin, keine
Lust hatte, das deutsche Botschaftspalais in der Rue de Lille zu räumen, so
entspann sich zwischen ihm und Schön ein Kampf, der, nebenbei gesagt, bei
der schlaffen Zügelführung von Bethmann auch politisch nachteilige Folgen
hatte. Jeder der beiden Konkurrenten versicherte den Franzosen, daß er
der rechte Mann wäre, um von Paris aus auf die Berliner Zentralstelle im
Sinne weitgehender deutscher Nachgiebigkeit gegenüber den französischen
Wünschen in der Marokko-Frage zu wirken. Das steigerte natürlich mit dem
französischen Übermut die französischen Prätentionen, und die Früchte
des von mir am 9. Februar 1909 mit Frankreich abgeschlossenen Ab-
kommens gingen uns bald nachher verloren.
Hammann hatte mir noch zu meinem letzten Geburtstage geschrieben,
daß er mir von ganzem Herzen Glück und Segen und neue Erfolge für des
Reiches Wohl im reichsten Maße wünsche. Ein Jahr voll großer Arbeit
liege hinter mir; ich hätte im gottbegnadeten Vollbesitze meiner körper-
lichen, geistigen und seelischen Kräfte und Gaben das schwerste über-
wunden. Möge ich stets der alte bleiben, im Menschlichen wie im Politischen,
im Mühen wie im Erfolg. Jetzt verurteilte er mir gegenüber in scharfen
Worten „das alte, dumme Geschwätz‘‘ von Martin und fügte hinzu: Die
gehässigen Albernheiten der „Märkischen Volkszeitung‘ hätten kurze
Beine gehabt, wenn nicht der Artikel der „„Kreuz-Zeitung‘‘, der mir statt der
Bosheit nur Täuschung über die Wirkung des sogenannten Interviews und
frommen Betrug nachsagte, hinzugekommen wäre. Schiemann hatte ihm
bei einer zufälligen Begegnung anvertraut, daß der Artikel der „Kreuz-
Zeitung“ die kaiserliche Lesart enthalte. Der Redakteur der „Kreuz-Zeitung“
scheine nachträglich zu empfinden, was er angerichtet habe. Diese unglück-
selige Veröffentlichung setze, ohne der konservativen Partei irgendwie zu
nützen, Krone und Land der Gefahr neuer Kaiserdebatten aus und versetze
mich in einen tief zu beklagenden Konflikt: Auf der einen Seite Wahrung
meines historischen Namens, auf der anderen Seite Rücksicht auf meine
royalistische Vergangenheit. In dem Bewußtsein, daß mir vor dem Urteil