Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Dritter Band. Weltkrieg und Zusammenbruch. (3)

58 VIEL EXTREMERE BESCHLÜSSE 
der Geschichte nicht bange zu sein brauche, würde ich mich hoffentlich 
nicht auf den Beifall der Liberalen verlassen. Das Wort, daß die Liberalen 
den Nachruhm machten, sei nur mit Einschränkung wahr. An Caprivi habe 
es sich zum Beispiel nicht bewährt. Der Staatssekretär habe ihm meinen 
Brief gezeigt, dessen klare Widerlegung der schweren Irrungen in den 
- gegenwärtigen Preßtreibereien diesen den Weg zur Geschichte verlege. Das 
Bodo von 
dem K.nesebeck 
über die 
Konflikttage 
Wort über den Nachruhm war, wenn mich mein Gedächtnis nicht täuscht, 
vom „Berliner Tageblatt‘ geprägt worden; der Hohn über den armen 
Caprivi klang nicht schön im Munde von Hammann, der seine Karriere 
nach dem Sturze von Bismarck als treuer Knappe des zweiten Kanzlers 
begonnen hatte. 
Wohltuend berührte mich der nachstehende Brief des diensttuenden 
Kammerherrn der Kaiserin und Vize-OÖberzeremonienmeisters Bodo von 
dem Knesebeck, meines alten Regimentskameraden, der, zur iftimen 
Umgebung der Majestäten gehörend, die November-Ereignisse aus nächster 
Nähe miterlebt und beobachtet hatte. Er schrieb mir spontan: „Die wider- 
wärtigen Preßtreibereien, die ihren Ursprung darin haben, daß gewisse 
Leute sich reinwaschen wollen, ekeln mich so an, daß ich ganz krank davon 
bin. Was mich geradezu traurig macht, ist die Auffassung, die an anderer 
Stelle über die Novembertage sich gebildet hat und diesen Angriffen 
Vorschub leistet. Das Ganze ist ein widerwärtiges Bild politischer Ge- 
meinheit auf der einen, des Unverstandes zum mindesten auf der anderen 
Seite. Du weißt, wie ich über das alles denke, wie ich seit zwanzig Jahren 
die Verstimmung entstehen sah, die zu dem Ausbruch elementarer Leiden- 
schaft, die nur zu oft zurückgedrängt worden war, führte. Daß es heute 
anders ist, verdankt man nicht zum mindesten Deiner Behandlung jener 
Konflikttage. Denn ich habe heute noch die Überzeugung, daß bei der 
herrschenden Kopflosigkeit es zu viel extremeren Beschlüssen gekommen 
wäre, wenn das Parlament durch den Verlauf der Dinge das Vertrauen in 
den Reichskanzler verloren hätte. Es hätte dann selbst seine Sache in die 
Hand genommen und unter Umgehung der ersten Beamten des Reichs 
direkt an die Krone appelliert. Die Konservativen, die ja überhaupt am 
weitesten in der von Partei wegen formulierten Kritik gegangen waren, hätten 
das, ihrer ganzen Haltung nach, mitmachen müssen. Wer denkt heute noch 
daran, daß Du, als Du am 11. November aufstandest, um die Verantwortung 
auf Dich zu nehmen, in der Verteidigung der Krone niemand und nichts 
binter Dir hattest? Weder den Bundesrat, noch eine Partei, noch ein 
Mitglied des Reichstages. Du warst ganz allein auf Dich angewiesen. Diese 
Situation zu beherrschen, ist nicht so leicht, wie nachträglich an allem in 
selbstsüchtiger Absicht Kritik zu üben. Ich weiß nicht, ob ein Staatsmann 
jemals vor eine solche Aufgabe im parlamentarischen Leben gestellt worden
	        
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