Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

I. KAPITEL 
Frankfurt a. M. » Elternhaus » Frankfurter Diplomaten - Der Gesandte von Bismarck- 
Schönhausen - Erster Unterricht durch Gouvernanten und Hauslehrer - Erziehungs- 
grundsätze des Vaters 
Wie an dem Tag, der dich der Welt verliehen, 
Die Sonne stand zum Gruße der Planeten, 
Bist alsobald und fort und fort gediehen 
Nach dem Gesetz, wonach du angetreten. 
So mußt du sein, dir kannst du nicht entfliehen, 
So sagten schon Sibyllen, so Propheten: 
Und keine Zeit und keine Macht zerstückelt 
Geprägte Form, die lebend sich entwickelt. 
Goethe setzte diese Verse an die Spitze seiner Orphischen Urworte. Er 
bemerkte dazu, daß die wenigen Strophen viel Bedeutendes enthielten, und 
das in einer Folge, die, wenn man sie erst kenne, dem Geiste die wichtigsten 
Betrachtungen erleichtere. Schiller läßt seinen Wallenstein sagen: 
Des Menschen Thaten und Gedanken, wißt, 
Sind nicht wie Meeres blind bewegte Wellen. 
Sie sind notwendig wie des Baumes Frucht, 
Sie kann der Zufall gaukelnd nicht verwandeln. 
Hab ich des Menschen Kern erst untersucht, 
So weiß ich auch sein Wollen und sein Handeln. 
Dagegen schreibt im zweiten Kapitel seines „Bellum Jugurthinum“ 
Sallust, dessen Gärten die Höhe des Pincio einnahmen, wo jetzt die Villa 
Malta steht, in der ich diese Zeilen diktiere: „„Animus incorruptus, aeternus 
rector humani generis, agit, atque habet cuncta, neque ipse habetur.‘““ Wer 
war echt? Die beiden größten deutschen Dichter oder Gaius Sallustius 
Crispus, einer der scharfsinnigsten Historiker aller Zeiten? Kann der 
Mensch sein Schicksal selbst gestalten ? Oder treibt ihn seine ihm von einer 
stärkeren Gewalt aufgeprägte Individualität willenlos in die eine oder die 
andere Richtung, wie ein Blatt, das der Wind vor sich her weht? Liegt hier 
eine Antinomie vor, einer jener Widersprüche, in welche die Vernunft bei 
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