Full text: Bernhard Fürst von Bülow - Denkwürdigkeiten. Vierter Band. Jugend- und Diplomatenjahre. (4)

Legende um 
Alexander I. 
380 EIN MORD IM WINTERPALAIS 
die Verschwörung gegen den Kaiser gewußt und sie nicht verhindert hätten, 
„L’empereur s’etait rendu tellement insupportable que tout le monde 
dösirait sa suppression.‘ Die eigentliche Seele dieser Verschwörung war 
der Günstling des Kaisers, der General der Kavallerie, Generaladjutant, 
Gouverneur von Petersburg und Minister des Äußern Graf Peter Ludwig 
vonPabhlen, ein baltischer Edelmann. Dieser sah schon seit einigen Wochen 
voraus, daß es mit Seiner Majestät nicht mehr lange gehen würde, und 
schrieb an den russischen Gesandten in Berlin, als er ihm einen sehr 
exzentrischen Befehl des Monarchen zu übermitteln hatte: „Voila les 
ordres de Sa Majeste. Vous ferez bien de ne pas vous presser a les ex&cuter, 
car la sant@ de notre Auguste Maitre laisse, helas, a desirer, et les dessins 
de la divine Providence sont impenetrables.““ Nachdem Pahlen aus jüngeren 
Offizieren, Fähnrichen und Kadetten eine Stoßtruppe gebildet hatte, 
führte er sie nachts vor das kaiserliche Palais, ließ ihnen in seiner Eigen- 
schaft als Gouverneur der Hauptstadt die Tore öffnen und dem Schicksal 
seinen Lauf. Er selbst hielt in großer Uniform mit dem blauen Band des 
Andreasordens vor dem Eingang des Palais. Mißglückte der Anschlag, so 
wollte er durch die halbe Kompagnie, die er zu eigener Verfügung zurück- 
behalten hatte, die Verschwörer verhaften lassen und sie dem Zaren aus- 
liefern, der seinen Diener loben würde. Gelang der Coup, so hoffte Pahlen 
als der erste seine Früchte zu pflücken. Der Coup gelang. Als Kaiser Paul 
in der Nacht Lärm hörte, Geschrei auf den Korridoren, Pistolenschüsse 
und das Aufstoßen von Gewehrkolben, verkroch er sich, feige, wie es meist 
Tyrannen sind, unter sein Bett. Die Verschwörer stießen mit Degen und 
Bajonetten so lange nach ihm, bis er herauskam und an den Bettpfosten 
gebunden werden konnte. Dann ließen sie durch einen der Ihrigen den 
Grafen Pahlen fragen, was mit dem Zaren geschehen solle. Pahlen ant- 
wortete: „Pour faire une omelette il faut casser les &ufs.‘“ Die Verschwo- 
renen verstanden den zarten Wink. Sie schlangen um den Hals des zittern- 
den Autokraten eine Offiziersschärpe. An dem einen Ende zog Graf Subow, 
der letzte Amant der Mutter des Kaisers Paul, der großen Katharina, am 
anderen Ende der Gencral a la suite Ouschakow. Die Eier wurden zer- 
brochen. Kaiser Paul wurde supprimiert. 
Im russischen Volk, das, wie schon gesagt, dem Kaiser Paul ein pietät- 
volles Andenken bewahrt, war, wie mir die Großfürstin Wladimir weiter 
erzählte, lange der Glaube verbreitet, daß Kaiser Alexander Il., der auf 
einer Reise nach Südrußland im Dezember 1825 in Taganrog starb, in 
Wirklichkeit noch viele Jahre gelebt habe. Er habe aus Reue über seine 
Beteiligung an der Ermordung seines Herrn Vaters beschlossen, sich dem 
geistlichen Stand zu widmen. Zu diesem Zweck habe er die Leiche eines 
zufällig verstorbenen Kosaken in einen mit der Kaiserkrone geschmückten
	        
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